Innere Sicherheit
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PSB Seite 323<br />
♦ Aus der Spannung zwischen dem einen und dem anderen Status erwachsen Herausforderungen für<br />
das Einleben in die Gesellschaft. Die meisten Spätaussiedler bewältigen die Schwierigkeiten, mit denen<br />
sie sich konfrontiert sehen, über kurz oder lang und meistern die Integration, ähnlich wie die<br />
meisten Zuwanderer sonst. Ein kleinerer Teil gerät in erhebliche oder länger andauernde Problemlagen.<br />
Daraus können sich, als nur eine von mehreren möglichen Endpunkten oder Auswegen, Straftaten<br />
entwickeln.<br />
♦ Neuere amtliche Zahlen aus einzelnen Ländern und ergänzende wissenschaftliche Erhebungen zeigen<br />
insoweit, dass die Straftatenproblematik sich auf junge männliche Spätaussiedler der "letzten Welle"<br />
ab Mitte der neunziger Jahre konzentriert. Dass bei ihnen Anpassungskonflikte öffentlich am sichtbarsten<br />
ausbrechen, stimmt gut mit (internationalen) Einsichten aus Wissenschaft und Praxis über die<br />
junge Generation anderer Immigrantengruppen überein.<br />
♦ Aus diesem Befund kann man mit Bezug auf Kriminalität die begründete Hoffnung ableiten, dass es<br />
sich grundsätzlich um vorübergehende Problemlagen handelt, denen mit angemessenen besonderen<br />
Integrationsangeboten von Seiten der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Öffentlichen Hand effektiv<br />
begegnet werden kann.<br />
2.11.2.1 Aussiedler als Gruppe deutscher bzw. deutschstämmiger Zuwanderer<br />
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es mehrere große Wellen des Zustromes bzw. der Zuwanderung<br />
von deutschen Volkszugehörigen und Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland. 1009 Die<br />
Millionen Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge und Übersiedler aus der ehemaligen<br />
DDR waren regelmäßig zu Beginn ihres Aufenthaltes in der neuen Heimat mit Vorbehalten der alteingesessenen<br />
Bevölkerung konfrontiert. Sie hatten regelmäßig auch mit eigenen Anpassungsschwierigkeiten<br />
bezüglich der neuen Umgebung sowie der anderen Sitten und Gebräuche zu kämpfen. Über kurz oder<br />
lang wurden die Neubürger jedoch stets in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft integriert. 1010 Zum öffentlichen<br />
Diskurs über die anfänglich vermehrt entstehenden und bei einem kleinen Teil der Neubevölkerung<br />
fortbestehenden Probleme gehörte regelmäßig die Besorgnis über die Kriminalität, insbesondere unter<br />
den Kindern und Jugendlichen. 1011<br />
Die Aussiedler teilten und teilen das Geschick der genannten Zuwanderergruppen. Zentral für die Zuerkennung<br />
des rechtlichen Status eines Aussiedlers war von Anfang an der Nachweis der Volkszugehörigkeit<br />
im Sinne von Art. 116 des Grundgesetzes. Gemäß § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) zählt<br />
als Volkszugehöriger, "wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses<br />
Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird".<br />
Seit 1950 sind rund vier Millionen Aussiedler mit ihren Angehörigen (vorwiegend) aus Ost- und Südosteuropa<br />
in die Bundesrepublik Deutschland gekommen 1012 ; die höchste Anzahl gab es im Jahr 1990 mit<br />
rund 397.000 zugewanderten Personen.<br />
In den letzten Jahren ist mit Bezug auf Kriminalitätsentwicklung und die <strong>Sicherheit</strong>slage vor allem die<br />
Gruppe der so genannten Spätaussiedler in den Brennpunkt der allgemeinen und der Fachöffentlichkeit<br />
geraten. Spätaussiedler sind nach der Festlegung des am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes<br />
vom 21.12.1992 gemäß dem neu gefassten § 6 Abs. 2 BVFG vor allem solche<br />
deutsche Volkszugehörige, die nach dem 31. Dezember 1992 die Republiken der ehemaligen Sowjetunion,<br />
Estland, Lettland oder Litauen verlassen haben und innerhalb von sechs Monaten nach dem Verlassen<br />
der alten Heimat in Deutschland ständigen Aufenthalt genommen haben. 1013 Einfacher und den geschichtlich-weltpolitischen<br />
Hintergrund beleuchtend gesagt: "Spätaussiedler, Russlanddeutsche, Angehö-<br />
1009 Zu den Zahlen vgl. nur, statt vieler, SCHEUCH, E., 1991.<br />
1010 Siehe das Kapitel "Integration als gesellschaftliche Aufgabe" in: STATISTISCHES BUNDESAMT, 1998, S. 94 ff.<br />
1011 Vgl. beispielsweise GÖPPINGER, H., 1971, S. 347 ff. m. w. N., unter der Überschrift "Schicksalsgruppen".<br />
1012 Detaillierte Angaben mit weiteren Informationen und Verweisen siehe bei LUFF, J., 2000, S. 8 ff.; BEAUFTRAGTER DER<br />
BUNDESREGIERUNG FÜR AUSSIEDLERFRAGEN (Hg.), 2001.<br />
1013 Genauer Wortlaut und sonstige Bedingungen siehe in § 4 BVFG.