Innere Sicherheit
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Seite 132<br />
PSB<br />
2.4.1 Begriff der Wirtschaftskriminalität<br />
Wirtschaftskriminalität verdient unter verschiedenen Gesichtspunkten erhöhte Aufmerksamkeit. Seine<br />
Brisanz verdankt das Thema zunächst und vor allem der Annahme, Wirtschaftskriminalität verursache<br />
zwar ernorme Schäden, deren negative Auswirkungen vielfach nicht auf einen Einzelnen beschränkt blieben,<br />
mit Mitteln des (Straf-)Rechts sei aber den Tätern nur sehr schwer beizukommen. Dabei wurde die<br />
Notwendigkeit intensiver sozialer einschließlich strafrechtlicher Kontrolle auch mit dem verfassungsrechtlichen<br />
Gebot der Gleichbehandlung und einer sozialstaatlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechenden<br />
Neugewichtung der Straftatbestände begründet. So hob auch die Bundesregierung 1975 hervor,<br />
dass "eine Rechtsordnung, die dem Fehlverhalten des durchschnittlichen Bürgers ohne Schwierigkeiten<br />
begegnen" könne, "jedoch vor Manipulationen von Intelligenztätern im Wirtschaftsverkehr allzu oft die<br />
Waffen strecken" 406 müsse, "nicht dem Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz" genüge.<br />
Dieser sozialkritische Ansatz lag auch dem berühmten "white-collar"-Konzept des amerikanischen Kriminologen<br />
E. H. SUTHERLAND zugrunde, der mit Nachdruck auf die Tatsache der "Weiße-Kragen-<br />
Kriminalität" aufmerksam machte, also auf "Delikte, begangen von einer ehrbaren Person mit hohem<br />
sozialem Ansehen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit" 407 .<br />
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber durch die beiden Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität<br />
von 1976 und 1986, durch die beiden Gesetze zur Bekämpfung der Umweltkriminalität von<br />
1980 und 1994 sowie durch zahlreiche Gesetze im Nebenstrafrecht das materielle Wirtschaftsstrafrecht<br />
grundlegend reformiert und durch prozessuale Regelungen auch die Voraussetzungen für eine effektivere<br />
Aufklärung und Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten geschaffen. 408<br />
Trotz der gesteigerten Aufmerksamkeit für das Problemfeld Wirtschaftskriminalität und trotz einer intensiven<br />
Diskussion ist es bislang nicht gelungen, einen allgemein anerkannten und trennscharfen Begriff der<br />
Wirtschaftskriminalität zu entwickeln. 409 Im Kern geht es um Bereicherungskriminalität, die verübt wird<br />
im Zusammenhang mit der (tatsächlichen oder auch nur vorgetäuschten) Erzeugung, Herstellung und<br />
Verteilung von Gütern oder der Erbringung und Entgegennahme von Leistungen des wirtschaftlichen<br />
Bedarfs. Einbezogen ist dabei nicht nur die Phase der aktiven Wirtschaftstätigkeit, sondern auch die der<br />
Gründung (z. B. Gründungsschwindel durch Angabe falscher Vermögensverhältnisse) wie des Ausscheidens<br />
aus dem Wirtschaftsverkehr (z. B. Konkursdelikte). 410 Zur Eingrenzung dieser immer noch weiten<br />
Definition wird im wirtschaftsstrafrechtlichen Schrifttum überwiegend gefordert, die wirtschaftliche Betätigung<br />
müsse unter Missbrauch des im Wirtschaftsleben nötigen Vertrauens begangen werden und über<br />
eine individuelle Schädigung hinaus Belange der Allgemeinheit (überindividuelles Rechtsgut) berühren.<br />
411<br />
Die in Betracht kommenden Deliktsformen sind, wie in sonst keinem Deliktsbereich, überaus vielfältig<br />
und vielgestaltig. Allein die Tatsache, dass schon Anfang der achtziger Jahre über 200 Bundesgesetze zu<br />
dem Bereich wirtschaftsdeliktischen Verhaltens gerechnet wurden, gibt bereits eine ungefähre Vorstellung<br />
von der enormen Breite des Deliktsspektrums. Auch die polizeiliche Definition der "Wirtschaftskriminalität",<br />
die sich an der in § 74c Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) enthaltenen Zuständigkeitsregelung<br />
406<br />
Regierungsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 1.4.1975, BT-Drs. 7/3441, S. 14.<br />
407<br />
SUTHERLAND, E. H., 1949, S. 2: "A crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his<br />
occupation".<br />
408<br />
Zu einem Überblick über die wesentlichen gesetzlichen Regelungen vgl. DANNECKER, G., 2000, Rn. 54 ff.<br />
409<br />
Zu Nachweisen über die zahlreichen Definitionen vgl. BERCKHAUER, F., 1977, S. 22 ff.; DANNECKER, G., 2000, Rn. 5 ff.;<br />
GEERDS, D., 1990, S. 6 ff.; HEINZ, W., 1998c, S. 13 ff.; LIEBL, K., 1983, S. 408 ff.; OPP, K.-D., 1975, S. 45 ff.<br />
410<br />
Folgerichtig unterscheiden MÜLLER-GUGENBERGER, C. und K. BIENECK bei Anlegung der „Sicht eines Unternehmens“ (S. V)<br />
die „Pflichtverstöße bei Gründung des Unternehmens“, die „Pflichtverstöße beim Betrieb des Unternehmens“ und die „Pflichtverstöße<br />
bei Beendigung und Sanierung des Unternehmens“.<br />
411<br />
Zusammenfassend DANNECKER, G., 2000, Rn. 9.