Unipolare Depression Langfassung - Versorgungsleitlinien.de
Unipolare Depression Langfassung - Versorgungsleitlinien.de
Unipolare Depression Langfassung - Versorgungsleitlinien.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
[179], so dass die vorbestehen<strong>de</strong> Ängstlichkeit o<strong>de</strong>r Depressivität <strong>de</strong>r Bezugsperson sich mitteilt und<br />
verinnerlicht wird [180].<br />
Ein verstärkungstheoretisches interpersonelles Erklärungsmo<strong>de</strong>ll [181; 182] geht davon aus, dass<br />
im Vorfeld einer <strong>Depression</strong> potenziell verstärken<strong>de</strong> Ereignisse quantitativ und qualitativ abnehmen<br />
bzw. in <strong>de</strong>r sozialen Umgebung nicht mehr im bisherigen Umfang erreichbar sind, z. B. durch<br />
Trennung, soziale Isolation o<strong>de</strong>r Armut. Der Wegfall an Belohnungen, die für das Wohlbefin<strong>de</strong>n einer<br />
Person be<strong>de</strong>utsam waren, hat eine zunehmen<strong>de</strong> <strong>de</strong>pressive Verstimmung und Resignation zur Folge,<br />
die ihrerseits einen Rückgang von Verhaltensweisen bewirkt, die für die Erreichung alternativer<br />
Verstärkerquellen nötig wären [159]. Mo<strong>de</strong>riert wird dieser Zusammenhang durch individuelle soziale<br />
Fertigkeiten und Kompetenzen [167]. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verlust sozialer Verstärkung durch wichtige<br />
Kontaktpersonen, sei es durch Tod, Trennung, Zurückweisung o<strong>de</strong>r anhalten<strong>de</strong> Konflikte, haben,<br />
entsprechend <strong>de</strong>m Extinktionsprinzip, nach diesem Erklärungsansatz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung für<br />
die <strong>Depression</strong>sentstehung [159; 167; 183].<br />
Kognitionspsychologische Hypothesen gehen davon aus, dass <strong>Depression</strong>en kognitive Störungen<br />
zugrun<strong>de</strong> liegen [159]. Depressive Störungen sollen entstehen, wenn bei einem Individuum situative<br />
Auslöser mit realitätsfrem<strong>de</strong>n, verzerrten, negativen Kognitionen verarbeitet wer<strong>de</strong>n, die mit gelernter<br />
Hilflosigkeit und Verhaltens<strong>de</strong>fiziten sowie einem Mangel an positiv verstärken<strong>de</strong>n Aktivitäten gepaart<br />
sind. Die situativen Auslöser beziehen sich hierbei entwe<strong>de</strong>r auf aktuelle o<strong>de</strong>r auf chronische<br />
Belastungen. Depressive Störungen basieren dieser Annahme zufolge auf dysfunktionalen<br />
Einstellungen, negativen automatischen Gedanken über sich selbst, die Welt und die Zukunft;<br />
entsprechend verzerrt sollen die Informationsverarbeitung sowie die Interaktionsprozesse sein [184].<br />
H 1.4 Verlauf und Prognose<br />
H 1.4.1 Allgemeiner Verlauf<br />
<strong>Depression</strong>en zeichnen sich typischerweise durch einen episodischen Verlauf aus, d. h. die<br />
Krankheitsphasen sind zeitlich begrenzt und klingen häufig auch ohne therapeutische<br />
Maßnahmen ab [137]. Untersuchungen aus <strong>de</strong>r Ära vor Einführung <strong>de</strong>r Psychopharmaka belegen<br />
durchschnittliche Episo<strong>de</strong>ndauern einer unipolaren <strong>Depression</strong> von sechs- bis acht Monaten<br />
[93]. Die Entwicklung effektiver Therapien führte zu einer <strong>de</strong>utlichen Verkürzung und weniger starken<br />
Ausprägung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>pressiven Phasenlänge. Die mittlere Episo<strong>de</strong>ndauer behan<strong>de</strong>lter unipolarer<br />
<strong>de</strong>pressiver Störungen wird auf 16 Wochen geschätzt, wobei bei ungefähr 90 % <strong>de</strong>r Patienten die<br />
<strong>de</strong>pressive Episo<strong>de</strong> als mittel- bis schwergradig eingeschätzt wird [185].<br />
Die Verläufe <strong>de</strong>pressiver Störungen weisen eine große interindividuelle Variabilität auf (siehe<br />
Abbildung 5). Eine <strong>de</strong>pressive Episo<strong>de</strong> kann vollständig remittieren, so dass <strong>de</strong>r Patient in <strong>de</strong>r<br />
Folgezeit völlig symptomfrei ist (Beispiel a). Bei unvollständiger Remission bleibt eine<br />
Residualsymptomatik bestehen (Beispiel b), die u. a. das Risiko für eine erneute <strong>de</strong>pressive Episo<strong>de</strong><br />
erhöht (Beispiel c). Eine Dysthymie ist von einer min<strong>de</strong>stens seit zwei Jahren bestehen<strong>de</strong>n<br />
subsyndromalen <strong>de</strong>pressiven Symptomatik gekennzeichnet (Beispiel d), aus <strong>de</strong>r sich eine zusätzliche<br />
<strong>de</strong>pressive Episo<strong>de</strong> entwickeln kann (Beispiel e). Im letzteren Fall spricht man von <strong>de</strong>r so genannten<br />
doppelten <strong>Depression</strong> (Englisch: double <strong>de</strong>pression). Hält eine <strong>de</strong>pressive Episo<strong>de</strong> länger als zwei<br />
Jahre ohne Besserung bzw. Remission im Intervall an, spricht man von einer chronischen <strong>de</strong>pressiven<br />
Episo<strong>de</strong> („chronische majore <strong>Depression</strong>’“; Beispiel f).<br />
Eine Langzeitstudie von Keller et al. [186-188] zeigte für über 400 behan<strong>de</strong>lte Patienten mit unipolarer<br />
<strong>de</strong>pressiver Störung eine Remissionsrate von 50 % innerhalb von sechs Monaten; nach zwei Jahren<br />
wiesen noch 21 % <strong>de</strong>r Patienten, obwohl sie nach wie vor behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n, eine die Diagnose einer<br />
<strong>de</strong>pressiven Episo<strong>de</strong> rechtfertigen<strong>de</strong> Symptomatik auf. Nach fünf Jahren bei teilweiser<br />
Weiterbehandlung waren es noch 12 % und nach zehn Jahren noch immer 7 %. Nach einer neueren<br />
epi<strong>de</strong>miologischen Studie waren 50 % <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Mehrzahl (67 %) behan<strong>de</strong>lten <strong>de</strong>pressiven Patienten<br />
(n = 273) nach drei Monaten wie<strong>de</strong>r gesund [189]. Bei ein Drittel <strong>de</strong>r Betroffenen trat eine lediglich<br />
partielle Besserung ein; beson<strong>de</strong>rs bei langjährigem Krankheitsverlauf blieb eine Restsymptomatik<br />
bestehen. 63 % <strong>de</strong>r <strong>de</strong>pressiven Patienten erreichten nach sechs Monaten ihre gewohnte<br />
Leistungsfähigkeit wie<strong>de</strong>r, nach zwölf Monaten waren dies 76 % [189]. Mehrere Studien fan<strong>de</strong>n für<br />
etwa 15-20 % <strong>de</strong>r <strong>de</strong>pressiven Patienten eine Chronifizierung mit einer Dauer <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>n von<br />
über zwei Jahren [187; 189-193].<br />
© 2009 55