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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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usw. könnte man das Stammprinzip verantwortlich machen, jedoch nur im Sinne der<br />

oberflächlichen Gestaltgleichheit; denn hier war auch bisher schon – wenn man ß als<br />

positionsbedingte Ligatur ansieht – das Stammprinzip berücksichtigt, sonst hätte man<br />

gemäß der Grundregel hast, must <strong>schreiben</strong> müssen. Dabei wäre die Kürze des Vokals<br />

nicht gesichert, denn das t gehört ja nicht zum Wortstamm im Sinne von 1.2 der<br />

Neuregelung.<br />

Denselben Fehler mit umgekehrtem Vorzeichen begehen A&S, wenn sie meinen,<br />

plazieren verstoße wegen des kurzen Vokals gegen die reguläre Verschriftung, die<br />

platzieren erwarten lasse. Da der Vokal zwar kurz, aber nicht betont ist, stellt vielmehr<br />

gerade platzieren einen Verstoß dar, der nur durch das Stammprinzip, d. h. durch<br />

Ableitung (hier: Neuableitung) vom regulär geschriebenen Wort Platz gerechtfertigt<br />

werden kann. Gleich im nächsten Absatz, bei nummerieren, erkennen sie diesen<br />

Einwand an. (Zu kritisieren ist wiederum, daß numerieren trotz Numerus usw.<br />

anscheinend überhaupt nicht mehr zulässig sein soll. Das vom Duden längst<br />

anerkannte nummerisch wird laut Wörterverzeichnis nicht mehr zugelassen, hier ist die<br />

Relatinisierung numerisch verbindlich! Der neue Duden hat allerdings die<br />

Eindeutschung auf eigene Faust gerettet.)<br />

Die langatmige Begründung, warum nunmehr platzieren zu <strong>schreiben</strong> sei, ist auch<br />

darum deplaciert bzw. deplaziert, weil es ebendieses Wort gibt: Das Fremdpräfix de-<br />

wird üblicherweise nicht mit deutschen Verbstämmen verbunden. Außerdem sprechen<br />

viele Menschen, wie die Wörterbücher mit Recht vermerken, deplaciert immer noch<br />

mit stimmlosem s und nicht mit z aus; folglich muß es deplacieren, deplaciert<br />

weiterhin geben. – Die Reformer haben, wie so oft, die Folgen ihrer punktuellen<br />

Eingriffe für den gesamten übrigen Wortschatz übersehen.<br />

Die gültige s-Schreibung war bei richtiger Didaktik nicht schwer zu erlernen. Die<br />

wirkliche Schwierigkeit liegt, zumindest für einige Schüler, bei der grammatischen<br />

Unterscheidung von das und daß. Den überaus gewichtigen Einwand, daß diese<br />

Fehlerquelle in Gestalt von das und dass erhalten bleibt, tun A&S mit dem Hinweis auf<br />

die Nichtdurchsetzbarkeit ihres Vorschlages von 1992 ab, die Unterscheidungsschreibung<br />

überhaupt zugunsten der Einheitsschreibung das aufzugeben. Munske<br />

(1997) hat gezeigt, wie tief diese Unterscheidung in der deutschen Sprachgeschichte<br />

und im intuitiv geschaffenen System der deutschen Rechtschreibung verwurzelt ist.<br />

Im Folgenden verteidigt Augst die vor allem von ihm selbst durchgesetzte etymologische<br />

und pseudoetymologische Neuschreibung einiger weniger Wörter. Die Kritik<br />

hat nicht nur die objektive Unrichtigkeit der volksetymologischen Schreibungen<br />

bemängelt, sondern vor allem das Unternehmen, solche Volksetymologien nicht dem<br />

„Volk“ abzulauschen, sondern am akademischen Schreibtisch zu erfinden und dann<br />

als einzig zulässige vorzu<strong>schreiben</strong>, zum Beispiel einbläuen, Quäntchen oder Zierrat.<br />

A&S zitieren das etymologische Wörterbuch: Vor allem das Partizip belemmert werde<br />

„häufig“ an Lamm angeschlossen und dann belämmert geschrieben. Das ist richtig,<br />

aber warum wollen die sonst so variantenfreudigen Reformer die traditionelle<br />

Schreibweise überhaupt nicht mehr zulassen? Warum soll auch derjenige, der in Zierat<br />

keineswegs einen „Rat“ sieht, dennoch gezwungen werden, Zierrat zu <strong>schreiben</strong>?<br />

Außerdem ist kritisiert worden, daß diese eigentlich nur punktuell (an einem halben<br />

108<br />

geraden. Im Regelwerk selbst ist die folgenreiche Ausnahme als „Erläuterung“ getarnt (§<br />

25 E1). – S. jetzt auch Nerius (Hg.) 2000, S. 146.

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