REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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gericht die Ansicht der klagenden Eltern,<br />
„dass es sich bei der Rechtschreibreform nicht lediglich um eine Fortentwicklung<br />
der bisherigen Bildungsziele und Unterrichtsinhalte handele. Das<br />
Lehr- und Lernziel des Rechtschreibunterrichts, die Fähigkeit zu korrektem<br />
Schreiben zu vermitteln, wird durch die Einführung der reformierten<br />
Rechtschreibung nicht angetastet.“<br />
Doch was ist „korrektes Schreiben“ – wenn nicht das in der Gesellschaft allgemein<br />
übliche? Die Neuschreibung ist aber nicht üblich, sondern soll es gerade erst durch den<br />
Rechtschreibunterricht werden, der sich also insofern ins Blaue hinein vollzieht, ohne<br />
Vorbild und in der bloßen Hoffnung auf den besagten, die Gewohnheit der ganzen<br />
Gesellschaft umwälzenden Erfolg.<br />
Neuerdings ziehen die Reformer aus der Tatsache, daß sie zwar auf Schüler und Staatsdiener<br />
Zugriff haben, auf die übrige Bevölkerung aber nicht, einen sekundären Nutzen.<br />
Sie behaupten nämlich wieder und wieder, am Schreibgebrauch der übrigen Bürger<br />
werde sich bis zum Stichtag im Jahre 2005 erweisen, „wieweit die Sprachteilnehmer<br />
auch außerhalb von Schule und Behörden die Neuregelung angenommen haben“ 19 und<br />
„ob die neuen Schreibungen von der Sprachgemeinschaft angenommen werden oder<br />
nicht“ 20 . Die Schüler zwar werden seit 1996 und die Beschäftigten des öffentlichen<br />
Dienstes ab 1998 ohne jede Möglichkeit einer Gegenwehr gezwungen, die neuen<br />
Schreibweisen zu praktizieren; sollten sie fehlerhaft sein, so kommt die Rettung von<br />
denen, auf die sich die Regelungsgewalt des Staates leider nicht ausdehnen läßt und<br />
die daher die einzigen sind, die ihre Mißbilligung artikulieren dürfen. Auch dieses<br />
scheinbar „demokratische“, gleichsam experimentelle Vorhaben setzt ausdrücklich die<br />
Einheit der deutschen Orthographie aufs Spiel.<br />
Außerdem werden Millionen Menschen als Versuchskaninchen für einen politischen<br />
Zweck mißbraucht. Der stellvertretende Vorsitzende der KMK sagte am 26.3.1998 in<br />
der bereits erwähnten Rede im Deutschen Bundestag:<br />
„Nicht um die Neuregelung der Rechtschreibung geht es in Wahrheit. Es geht um<br />
die Frage, ob diese Gesellschaft veränderungsfähig und veränderungswillig ist.<br />
Wenn es schon bei einem Reförmchen wie diesem zu solchen Reaktionen kommt,<br />
was soll dann erst geschehen, wenn es wirklich ernst wird mit Veränderungen in<br />
Deutschland?“<br />
19 Nerius in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 127. Der Autor<br />
fährt fort: „Sollte das nicht der Fall sein, muß man dann eine Neukodifizierung der<br />
Orthographie entweder auf der Basis der bisherigen Regelung oder auf einer Grundlage<br />
erwägen, die eine breitere Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft findet.“<br />
20 Heller ebd. S. 124. – Ähnlich aber auch schon der bayerische Kultusminister im<br />
„Bayernkurier“ vom 20.9.1997. Der Minister übernahm damit eine Vorgabe der<br />
Mannheimer Kommission, die bei einer Pressekonferenz am 12.9.1997 erklärt hatte: „Die<br />
Schule macht den Vorreiter. Was aber die Schreibgemeinschaft nicht annimmt, wird die<br />
Schule wieder aus dem Lehrplan streichen.“ Diese rhetorisch nicht ungeschickte<br />
Wendung findet man auch in der Pressemitteilung der KMK vom 12.2.1998, im Anschluß<br />
an die Vorlage der Amtschefskommission und an den Bericht der zwischenstaatlichen<br />
Kommission, s. u.; vgl. auch die Rede der KMK-Vorsitzenden Brunn vom 26.3.1998 im<br />
Bundestag.<br />
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