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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Regel und Ausnahme<br />

Auch die Neuregelung enthält zahllose Ausnahmebestimmungen. Man vergleiche die<br />

einzelnen Punkte bei der Groß- und Kleinschreibung oben! Das folgende ist nur eine<br />

Auswahl weiterer Fälle:<br />

• Die Paragraphen 4 und 5 handeln von der Verdoppelung von Konsonantenbuchstaben<br />

als Zeichen der Vokalkürze handeln. Sie enthalten 12 Gruppen von<br />

Ausnahmen. § 4 (6) wiederum stellt Ausnahmen von Ausnahmen zusammen.<br />

• Die Sätze einer Satzreihe wurden bisher auch dann durch Kommas abgetrennt, wenn<br />

zwischen ihnen Konjunktionen wie und oder oder standen. Als „Ausnahme“ kann<br />

man ansehen, daß in kurzen Sätzen wie Er grübelte und er grübelte oder nach<br />

formelhaften Aufforderungen wie Seien Sie bitte so nett und geben Sie mir das Buch<br />

kein Komma zu setzen war. In Wirklichkeit geht es hier um eine Verfeinerung, die<br />

dem Leser anzeigt, daß die fraglichen Sätze keine voneinander unabhängigen<br />

Sachverhalte oder Handlungen bezeichnen: Er grübelte und er grübelte – das sind<br />

nicht zwei Handlungen, und das Nettsein besteht gerade darin, daß man das Buch<br />

gibt, es sind nicht zwei verschiedene Dinge. Das ist durchaus nicht schwer zu<br />

verstehen, man kann es auch Schülern erklären. Die Neuregelung verringert hier die<br />

Regelungsdichte, indem sie auf eine klar definierte Unterscheidung verzichtet und<br />

statt dessen eine ganz vage Bestimmung einführt: Man könne ein Komma setzen,<br />

„um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen“ (§ 76). Der Begriff der<br />

„Gliederung“ bleibt undefiniert, Unsicherheit ist die notwendige Folge. In den<br />

neuen Schulbüchern sind die Kommas unter genau gleichen Bedingungen völlig<br />

willkürlich einmal gesetzt und einmal nicht. Ein Schulbuchverlag antwortet auf<br />

meine Kritik an diesem verwirrenden Verfahren: „Dass unter nahezu gleichen<br />

Bedingungen einmal ein Komma steht und das andere Mal nicht, lässt sich wohl<br />

kaum vermeiden, so lange die Wahlmöglichkeit besteht.“ 66 Zugleich bestätigt der<br />

Verlag, daß auf den Druckfilmen alle Kommas, die zwar weiterhin stehen können,<br />

aber nicht mehr stehen müssen, mit dem Messer herausgekratzt worden seien (man<br />

sieht noch die Lücken), „um wenigstens an dieser Stelle einige der nahezu<br />

unkalkulierbaren Kosten für die Reform zu vermeiden“. Die Zeichensetzung wird<br />

also absichtlich auf das unterste Niveau heruntergeschraubt, das man Schülern – für<br />

deren eigene Schreibpraxis! – gerade noch abverlangen zu können glaubt. Von<br />

professioneller leserfreundlicher Kommasetzung bleiben sie unnötiger- und<br />

schädlicherweise auch als Leser verschont. Wie sollen sie je eine differenzierte<br />

Rechtschreibung lernen?<br />

• Die neue Nichttrennbarkeit von ck (Zu-cker) wird als Beseitigung einer Ausnahme<br />

eingeführt, denn ck, so heißt es, sei eine Buchstabenkombination, die wie ch für<br />

einen einzigen Konsonanten stehe. Nun bestimmt aber § 3 (1), daß ck eigentlich für<br />

kk steht, und in die Liste der Laut-Buchstaben-Entsprechungen (§ 22) ist ck mit<br />

Recht nicht aufgenommen. Das durch ck wiedergegebene k gehört nämlich (ebenso<br />

wie das m in kommen, das t in bitten usw.) zu beiden Silben gleichzeitig. Hier<br />

widerspricht sich das Regelwerk also, nur um nicht zugeben zu müssen, daß die<br />

neue Nichttrennbarkeit von ck gegen die erste Grundregel (Trennung nach<br />

Sprechsilben, § 107) verstößt. Die Neuregelung beseitigt also eine nur scheinbare<br />

66 Ernst Klett Grundschulverlag, Schreiben vom 30.9.1997.<br />

66

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