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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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da man zwischen Ausnahmen und Verfeinerungen (Differenzierungen) unterscheiden<br />

muß. Manche Differenzierungen mögen für die Schule irrelevant sein, aber weder die<br />

gültige noch die geplante Orthographie sind als reine Schulorthographien gedacht. Die<br />

Auswahl des Lernstoffs ist eine pädagogische Aufgabe.<br />

Auch die Neuregelung enthält zahllose Ausnahmen und Ausnahmen von Ausnahmen,<br />

zum Beispiel:<br />

• Verbindungen aus Adjektiv und Verb werden getrennt geschrieben. Ausnahme:<br />

Wenn das Adjektiv in dieser Verbindung nicht steigerbar oder erweiterbar ist oder<br />

wenn es nicht selbständig vorkommt, wird zusammengeschrieben. Ausnahme von<br />

der Ausnahme: Wenn das Adjektiv auf -ig, -lich oder -isch endet, wird getrennt<br />

geschrieben. Ausnahme von der Ausnahme von der Ausnahme: richtiggehend<br />

wird zusammengeschrieben. Generelle Ausnahme: Beim Verb sein wird immer<br />

getrennt geschrieben.<br />

• Der Nebensatz wird durch Kommas vom übergeordneten Satz getrennt. Ausnahme:<br />

Infinitivgefüge brauchen nicht durch Kommas vom Matrixsatz getrennt zu werden.<br />

Ausnahme von der Ausnahme: Wird das Infinitivgefüge durch ein hinweisendes<br />

Wort angekündigt, so muß ein Komma stehen. (Eine enorme Komplikation, an der<br />

die meisten Neuschreiber scheitern!)<br />

Varianten und Freiräume sind so willkürlich eingeführt worden, daß der Lernende<br />

nicht voraussehen kann, wo er eine Wahl hat und wo nicht. Beispiel: Bisher hieß es<br />

zugrunde, zuliebe usw. Die Neuregelung sieht vor, daß man statt zugrunde auch zu<br />

Grunde <strong>schreiben</strong> darf, statt zuliebe aber keineswegs zu Liebe, zwar zutage oder zu<br />

Tage, aber nur zugute, nicht zu Gute. Ähnlich in vielen anderen Fällen. Folglich vergrößert<br />

sich der Lernaufwand.<br />

Abgesehen von der ganz marginalen Trennbarkeit von st (wo Schüler nach dem<br />

zweiten Schuljahr – falls sie überhaupt je trennen – oder gar Erwachsene, das bekannte<br />

Sprüchlein im Kopf, überhaupt keine Probleme hatten), ist das Ziel, die Ausnahmen zu<br />

reduzieren, nicht erreicht worden. Das bezeugen sogar die Reformer selbst:<br />

„Die Zahl der Einzelfestlegungen und Ausnahmen ist mit der Neuregelung kaum<br />

kleiner geworden.“ 9<br />

„Probleme bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Fügungen aus<br />

Adjektiv und Verb wird man in der Praxis auch fernerhin nur mit dem<br />

Rechtschreibwörterbuch lösen müssen.“ 10<br />

Aufgrund dieser und anderer Erkenntnisse kann mit großer Sicherheit behauptet<br />

werden, daß die Neuregelung, obwohl sie ohne Zweifel die Rechtschreibung durch<br />

Aufhebung von Differenzierungsmöglichkeiten vergröbert, den Schülern dennoch<br />

keine Erleichterungen verschafft. Kommafehler nicht mehr anzurechnen ist eine rein<br />

pädagogische Maßnahme, zu der es keiner Reform der Orthographie bedurft hätte.<br />

Die Dudenredaktion irrt, wenn sie in ihrer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht<br />

schreibt:<br />

9 Gallmann/Sitta: Handbuch Recht<strong>schreiben</strong>, Zürich 1996, S. 87, zur Laut-Buchstaben-Zuordnung.<br />

10 Gallmann/Sitta in Augst et al. [Hg.]: Zur Neuregelung der deutschen Orthographie.<br />

Tübingen 1997, S. 95.<br />

10

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