REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Löwer benutzten und weil mir auch gar nicht daran gelegen ist, das Dudenprivileg zu<br />
verteidigen. Ich plädiere für eine freie Konkurrenz der Wörterbücher unter der<br />
Prämisse, daß an den Schulen die allgemein übliche Rechtschreibung gelehrt wird –<br />
die es entgegen der Behauptung mancher Reformbefürworter tatsächlich gibt und die<br />
in fast allen Zeitungen, Fachbüchern usw. ganz unauffällig existiert, weshalb wir über<br />
die meisten Verstöße augenblicklich stolpern. Es gibt ja auch ungeachtet aller<br />
Flegeleien das gute Benehmen, und ähnlich wie dieses ist die korrekte Schreibweise<br />
ein typisches Hintergrundphänomen, das sich erst bei Abweichungen in Erinnerung<br />
bringt.<br />
Wie angedeutet, war der Unterricht in der ohne weiteres vorausgesetzten allgemein<br />
üblichen Rechtschreibung auch seit je das selbstverständliche Ziel der Schule. Löwer<br />
bemüht sich jedoch nach Kräften, den „allgemein üblichen Schreibbrauch“ als Fiktion<br />
hinzustellen. Wenn die Reformkritiker vom allgemein üblichen Schreibbrauch redeten<br />
– so Löwer –, dann meinten sie eigentlich die Dudenvorschriften. Daß es einen solchen<br />
Schreibbrauch überhaupt nicht gebe, wird für Löwer im Laufe seines Textes immer<br />
mehr zur unumstößlichen Gewißheit. Abgesehen von gewissen Selbstwidersprüchen<br />
begibt er sich damit auch in einen Gegensatz zu den Betreibern der Reform. Als zum<br />
Beispiel die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission mit ihren ersten Korrekturvorschlägen<br />
zum Regelwerk aufwartete, wurde dies von mehreren Kultusministern<br />
sowie vom Deutschen Philologenverband und anderen Reformbefürwortern zunächst<br />
als „Annäherung an den tatsächlichen Schreibgebrauch“ begrüßt, dessen Existenz auch<br />
sie mithin als selbstverständlich voraussetzten. (Die Kritiker haben seinerzeit sofort<br />
gekontert, daß die optimale Annäherung an den Schreibgebrauch die vollständige<br />
Rücknahme der Reform wäre ...)<br />
Der Duden hat im großen und ganzen einen „deskriptiven Ansatz“ befolgt (so die<br />
Formulierung der Dudenredaktion in ihrer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht<br />
vom 11.11.1997). Das war schon aus Gründen der Legitimierung<br />
des Dudenprivilegs notwendig, denn die Kultusminister gingen ja offenbar davon aus,<br />
daß der allgemein übliche Schreibgebrauch am besten im Duden repräsentiert sei.<br />
Dabei hat der Duden allerdings aus vorkommenden Varianten ausgewählt – genau wie<br />
die früheren Schulorthographien. Das kann nicht anders sein, denn sonst brauchte man<br />
kein Orthographikon. Innovativ oder kreativ hat die Dudenredaktion nicht gewirkt.<br />
Wenn Löwer unter ausführlicher Zitierung von Äußerungen der Dudenleitung die<br />
„regulierende“ Tätigkeit des Dudens hervorhebt, übertreibt er oder fällt auf die<br />
Werbesprüche einer Duden-Jubiläumsschrift herein. Die kurzlebigen Neuerungen der<br />
14. Auflage von 1954 (Kautsch usw.) bedürfen noch der Aufklärung; es ist neuerdings<br />
darauf hingewiesen worden, daß der DDR-Duden damit vorangeschritten war, so daß<br />
der West-Duden vielleicht dem Vorwurf der Rückständigkeit entgehen wollte. Auch<br />
mag der Schreibgebrauch damals solche gelegentlichen Eindeutschungen gezeigt<br />
haben, und man könnte ihre Zukunftsträchtigkeit überschätzt haben. Übrigens<br />
entspricht Kautsch der Rustschen Reform; ob auch dies eine Rolle spielte, entzieht sich<br />
meiner Kenntnis. Jedenfalls kann die Episode 138 nicht entkräften, daß der Duden den<br />
Schreibgebrauch deskriptiv festhielt und aufgrund der bekannten rechtlichen<br />
Konstruktion damit zugleich zur amtlichen Norm machte. Das bedeutet aber nicht, daß<br />
138 Löwer versucht, anhand dieser Kautsch-Episode die Fremdworteindeutschung als<br />
normierende Praxis des Duden darzustellen. In Wirklichkeit hat der Duden von solchen<br />
Avantgardismen alsbald die Finger gelassen.<br />
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