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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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kodifizierten Bereich, weshalb sie auch bisher weder vom Duden noch von der<br />

Neuregelung berücksichtigt worden ist. Weniger auffällig ist, daß die Großschreibung<br />

von festen Begriffen (Schneller Brüter usw.) entgegen der Dudennorm in größtem<br />

Umfang praktiziert wird – eine Sprachentwicklung, die der Duden allmählich<br />

aufnehmen müßte. Solche Tatsachen widerlegen die Neriussche Argumentation. Nerius<br />

denkt übrigens, wie ein späterer Beitrag (in Eroms/Munske [Hg.] 1997, S. 158;<br />

ausführlicher in Augst et al. [Hg.] 1997) erkennen läßt, stets an die Kleinschreibung<br />

der Substantive, die Leitvorstellung aller Reformer bis zum heutigen Tage. Selbst diese<br />

kann aber ohne staatlichen Eingriff kommen, wenn sich hinreichend viele<br />

einflußreiche Druckwerke, etwa Zeitungen, dazu entschließen, wozu sie ja ohne<br />

weiteres befugt sind. Was hindert die GEW daran, wenigstens ihre Verbandszeitschrift<br />

in Kleinschreibung erscheinen zu lassen? Allerdings sind die meisten Kleinschreiber<br />

der siebziger Jahre inzwischen zur Großschreibung zurückgekehrt, so auch die IG<br />

Medien.<br />

Horst H. Munske stellt nach einem vergleichenden Blick auf die Verhältnisse in Großbritannien<br />

fest:<br />

„Die Deutschen haben sich nach der Reichsgründung einer obrigkeitlichen Regelung<br />

unterworfen, die sich mit der Begründung rechtfertigte, sie gelte nur für<br />

Schulen und Behörden. Hier knüpft die Neuregelung an (...). Dennoch sollte man<br />

sich bewußt bleiben, daß Rechtschreibung auch ohne ministerielle Verordnungen<br />

funktionieren kann.“ 26<br />

Daher ist auch die spekulative Behauptung der Dudenredaktion zurückzuweisen, ohne<br />

staatliche Eingriffe „gäbe es keine deutsche Rechtschreibung im Sinne einer<br />

Einheitsschreibung“. 27 In einer Sprachgemeinschaft mit so dichten Kommunikationsbeziehungen<br />

konvergiert jeder Schreibgebrauch zur Einheitlichkeit, und der „englische<br />

Weg“ war auch im geeinten deutschen Reich längst beschritten, ja fast zu Ende<br />

gebracht, als die Einheitsorthographie vom Staat besiegelt wurde:<br />

„Daß [die Orthographie von 1902] so schnell und ohne irgendwelche Übergangszeiten<br />

eingeführt werden konnte, liegt natürlich daran, daß sie durchgehend bei<br />

den Schulen, mehrheitlich bei den Behörden und ganz überwiegend auch im<br />

übrigen Schreibgebrauch de facto schon eingeführt war – dies doch ein<br />

bedeutender Unterschied zur neuen Orthographie ab 1998.“ 28<br />

Es ist klar, daß der Staat die orthographische Regelungskompetenz, wenn er sie denn<br />

wirklich besitzen sollte, auch wieder abgeben kann. Daß die Schulbehörden für ihren<br />

Zuständigkeitsbereich einheitlich abgestimmte Unterrichtsanweisungen geben und<br />

Prüfungsbestimmungen erlassen können, versteht sich ebenfalls von selbst. Allerdings<br />

sind sie daran gebunden, daß die Schüler auf das Leben außerhalb der Schule, folglich<br />

auch auf die allgemein übliche Rechtschreibung vorbereitet werden.<br />

Den Schülern wird gegenwärtig nicht nur die allgemein übliche Rechtschreibung<br />

26 In Augst et al. [Hg.]1997, S. 414<br />

27 Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht vom 11.11.1997. – In den Duden-<br />

Informationen vom Dezember 1994 heißt es dagegen: „Unsere Rechtschreibung ist<br />

historisch gewachsen. (...) Das System der geschriebenen deutschen Sprache hat sich über<br />

einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten entwickelt, ohne daß dabei eine autorisierte<br />

Institution mit verbindlichen Regelungen eingegriffen hätte.“ (S. 7 und S. 14)<br />

28 Scheuringer 1997, S. 87.<br />

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