REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Eingeladen waren fast ausschließlich die bekannten Befürworter der Reform. Das<br />
angekündigte Gespräch fand am 23. Januar 1998 in den Räumen des IDS in Mannheim<br />
statt. Es zeigte sich, daß der Bertelsmann-Konzern direkt oder indirekt mehrfach<br />
vertreten war. 111 Außerdem befanden sich im Saal einige Personen, die weder auf der<br />
Einladungsliste standen noch vorgestellt wurden. Identifiziert werden konnten u. a. die<br />
Ministerialrätin Monika Palmen-Schrübbers vom Bundesinnenministerium,<br />
Ministerialrat Christoph Stillemunkes vom hessischen Kultusministerium, Tobias Funk<br />
von der Kultusministerkonferenz sowie Frohmut Menze, der Inhaber des mit Bertelsmann<br />
kooperierenden AOL-Verlags, der neben seiner die GEW vertretenden Gattin<br />
saß. Ein Protokoll wurde nicht geführt.<br />
Obwohl durch die Einladungspolitik der Kommission eine überwältigende Mehrheit<br />
zugunsten der Reformpläne sichergestellt war, kann weder die Anhörung selbst noch<br />
ihre Echo in den Medien als Erfolg der Reformer verbucht werden. Dafür war zunächst<br />
schon der Ausschluß der Öffentlichkeit verantwortlich. (Die dennoch erschienenen<br />
Journalisten wurden aus dem Saal gewiesen.) Von den wenigen Reformkritikern, die –<br />
zum Teil erst nach umständlichen eigenen Bemühungen und wenige Tage vor der<br />
Veranstaltung – zugelassen worden waren, lehnten der „Verein für deutsche<br />
Rechtschreibung und Sprachpflege“ (vertreten durch Hans Krieger) sowie die Initiative<br />
„Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ (die ich vertrat) die Korrekturvorschläge<br />
ab; die „Studiengruppe geschriebene Sprache“ (Helmut Glück) begrüßte sie als Schritt<br />
in die richtige Richtung, erneuerte aber ihre Kritik an der Reform und an der<br />
Zusammensetzung der Kommission.<br />
Bei der abendlichen Pressekonferenz machte die Kommission einen derangierten<br />
Eindruck. Sie konnte einfache Fragen der Journalisten nicht beantworten und schob<br />
den Politikern die Verantwortung für alle Schwierigkeiten zu.<br />
Das ganze Ereignis wurde wenig später in ein seltsames Licht gerückt, als zunächst die<br />
Fachbeamten der Kultusministerien, dann die Amtschefskommission und schließlich<br />
die KMK selbst erklärten, die Korrekturvorschläge ihrer eigenen Expertenkommission<br />
nicht annehmen, sondern die Reform unverändert am 1.8.1998 in Kraft setzen zu<br />
wollen. – So geschah es dann auch.<br />
111 Der Bertelsmann-Konzern verbirgt durchaus nicht, welchen Anteil er an der Durchsetzung<br />
der Reform hatte. Auf seiner Internetseite gibt er eine Chronik der Reform, in der<br />
es u. a. heißt:<br />
„April 1996: Die beiden Verlage AOL und Rowohlt schicken an alle 40.000 allgemeinbildenden<br />
(sic!) und berufsbildenden Schulen das Taschenbuch: Die neue deutsche<br />
Rechtschreibung. Wörter und Regeln leicht gelernt (Rowohlt Sachbuch 60171, 9,90<br />
DM). Durch diese Privatinitiative werden alle Schulen rechtzeitig über die neuen<br />
Schreibweisen und das geänderte Regelwerk informiert.<br />
September 1996: In einer gemeinsamen Aktion von bbv und Bertelsmann werden 40.000<br />
Exemplare des neuen Wörterbuchs von Bertelsmann Lexikon: Die neue deutsche<br />
Rechtschreibung an alle allgemeinbildenden (sic!) und berufsbildenden Schulen<br />
geschickt. In der Folge wird Bertelsmann neben Duden der zweite deutsche Wörterbuchverlag.<br />
September 1997: In einer gemeinsamen Aktion von bbv und Bertelsmann werden 19.000<br />
Exemplare des neuen Schüler-Bertelsmann an alle weiterführenden Schulen geschickt.<br />
Damit steht den Schülern das erste Werk zur Verfügung, das alle Wörter nur in der neuen<br />
Rechtschreibung enthält.“<br />
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