REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Aus einem Wörterbuch kann man nur entnehmen, was zuvor hineingeschrieben wurde,<br />
so daß auch die Frage, ob es sich um eine Wortgruppe oder um ein Wort handelt, vom<br />
Wörterbuchmacher entschieden werden muß, bevor er seinen Wörterbucheintrag<br />
macht. Was „semantische Verschiebungen aus (!) der Funktion innerhalb von<br />
Wortgruppen und aus (!) metaphorischen Gebrauchsweisen“ sein sollen, ist leider auch<br />
nicht zu erkennen. Im nächsten Absatz sind die „diachronischen Prozesse“ offenbar<br />
dasselbe wie der gleich darauf erwähnte „Sprachwandel“, so daß die gewagte These<br />
lautet: Sprachwandel ist grundsätzlich nicht abgeschlossen, wenn er auf universalen<br />
Gegebenheiten beruht. Wieso denn nicht? Es gibt viele Beispiele für Sprachwandel,<br />
zum Beispiel Assimilationen, die abgeschlossen sind, obwohl sie auf universalen<br />
Gegebenheiten beruhen. Welche „Wortgruppenphänomene“ es sind, die man früher<br />
durch Zusammenschreibung zu „bezeichnen“ versuchte, ist unklar.<br />
Die Verfasser sprechen davon, daß bei der Getrennt- und Zusammenschreibung „ein<br />
unklarer und zum Teil widersprüchlicher Schreibgebrauch entstanden“ sei; einige<br />
Zeilen weiter wird nochmals festgestellt, es sei zu „widersprüchlichen Festlegungen<br />
von einzelnen Schreibungen“ gekommen. Nun kann aber weder der Schreibgebrauch<br />
noch gar die Festlegung von Einzelschreibungen „widersprüchlich“ sein. Daß nach<br />
Duden zum Beispiel radfahren zusammengeschrieben werden darf, Auto fahren aber<br />
nicht, ist kein „Widerspruch“. Widersprüchlich wäre es, wenn einzelne Regeln<br />
einander entgegengesetzte Anweisungen gäben. Ein solcher Fehler wird aber dem<br />
Duden nicht unterstellt.<br />
Die Behauptung, durch die Neuregelung werde „das schon bisher geltende Prinzip,<br />
wonach in nicht eindeutig geregelten Bereichen getrennt geschrieben werden soll,<br />
verstärkt“, trifft nicht zu. Am Prinzip ändert sich gar nichts, sondern es werden<br />
zahlreiche durchaus eindeutig geregelte Fälle, für die bisher Zusammenschreibung<br />
galt, nunmehr der Getrenntschreibung zugeteilt. Genau diese Verschiebung der Grenze<br />
ist es, die sich nun als verfehlt herausstellt. Darum werden schätzungsweise 1000 neue<br />
Getrenntschreibungen durch Hinzufügung zusammengeschriebener Varianten<br />
entschärft (bezogen auf den Gesamtwortschatz der Dudenkartei sind es ungefähr<br />
viermal so viele!). Dieser Rückzug von einer unhaltbaren Position wird als<br />
Erweiterung von „Freiräumen“ und immer noch als Verstärkung des Grundprinzips<br />
ausgegeben. Daß die willkürlichen, auf eingestandenermaßen unzulänglichen Kriterien<br />
beruhenden Neuschreibungen nicht kurzerhand zurückgenommen werden, hat den<br />
Grund, daß „die in den neuen Wörterbüchern angegebenen Schreibungen richtig<br />
bleiben sollen“.<br />
Die Kommission bemüht sich, die tatsächliche Umorientierung der Regeln in diesem<br />
Bereich zu vertuschen:<br />
„Die Änderungsvorschläge der Kommission verstärken das genannte Grundprinzip<br />
dadurch, dass die formalen Proben genauer erläutert und zusätzliche<br />
Kriterien als Entscheidungshilfe eingeführt werden. Sie erweitern die Freiräume<br />
der Schreibenden dort, wo sowohl die Getrennt- als auch die Zusammenschreibung<br />
linguistisch gut begründbar ist, durch das Zulassen beider Schreibungen.“<br />
Das Hauptkriterium war bekanntlich die formale Probe der Steiger- und Erweiterbarkeit.<br />
Diese Probe wird aber keineswegs „genauer erläutert“, sondern durch das<br />
„zusätzliche Kriterium“ der Betonung weitgehend ersetzt. Die neuen Freiräume<br />
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