REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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– dann läßt sich das wortwörtlich auf die Entscheidung des OVG Schleswig anwenden,<br />
das den Unterricht in der Neuregelung als Anpassung an eine künftige<br />
Rechtschreibung betrachtet – eine Rechtschreibung, die aber gerade erst durch diesen<br />
Unterricht in Geltung gesetzt werden soll.<br />
Löwer äußert sich auch über die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission, deren<br />
Aufgaben übrigens nach dem Wortlaut der Wiener Absichtserklärung bei weitem nicht<br />
so „klar“ sind, wie er es darstellt. Auch unter den Mitgliedern besteht darüber keine<br />
einhellige Meinung, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob Korrekturen am<br />
Regelwerk unter dem Eindruck der inzwischen vorgenommenen kritischen Analysen<br />
dazugehören oder nicht, ferner darüber, ob die Kommission das Erbe der Dudenredaktion<br />
(als Wörterbuchredaktion) antreten oder die Wörterbuchredaktionen nur<br />
beraten soll usw. An dieser Stelle ist ein anderer Aspekt interessant: Löwer meint, daß<br />
die Neuregelung nicht zu einem höheren Grade von „Verstaatlichung“ der<br />
Orthographie führe, als er bisher schon herrschte. Dies wird durch die bisherige<br />
Erfahrung widerlegt. Als nämlich die Kommission ihre ersten zaghaften Korrekturvorschläge<br />
zum neuen Regelwerk herausbrachte und auf einer Anhörung am 23. Januar<br />
1998 diskutieren ließ, wurde sie – nach anfänglicher Zustimmung durch die KMK-<br />
Vorsitzende Brunn und andere Kultusminister – überraschend zurückgepfiffen. Zuerst<br />
eine kultusministerielle Fachkonferenz, dann die Amtschefskommission und<br />
schließlich die Kultusminister selbst waren es, die den fachlich zwar unzureichenden,<br />
aber wissenschaftlich immerhin begründeten und auch absolut notwendigen Eingriff in<br />
das Regelwerk zurückwiesen. Hier zeigt sich der direkte Zugriff von Politikern und<br />
staatlichen Kultusbürokraten auf die deutsche Rechtschreibung. In Wirklichkeit<br />
entstammt eben – was für die Öffentlichkeit allerdings nicht erkennbar war – die<br />
Neuregelung in wesentlichen Teilen nicht den Köpfen der beteiligten Fachwissenschaftler,<br />
sondern denen der Kultusbürokraten. Da von entscheidenden<br />
Sitzungen der Arbeitskreise (insbesondere des Internationalen Arbeitskreises in Wien<br />
1994) im Gegensatz zur I. und zur II. Orthographischen Konferenz 1876 bzw. 1901<br />
keine Protokolle existieren, läßt sich hier leider nichts Genaues nachweisen; dennoch<br />
war es so. Der geschilderte Vorgang ist ein Präzedenzfall. Er zeigt, wie die Gestaltung<br />
der deutschen Orthographie künftig vor sich gehen wird: als unmittelbarer Eingriff von<br />
Regierungsbeamten in die Norm. Löwer selbst betont ja, daß die Kommission nur<br />
Vorschlagsrecht hat. Entscheiden wird also ein anderer, und zwar der Staat unmittelbar.<br />
Das ist etwas grundsätzlich anderes als die bisherige Tätigkeit des Duden, ob mit oder<br />
ohne staatliches Privileg.<br />
Daß es um eine neue Qualität der Verstaatlichung der Orthographie gehe, ist im<br />
übrigen auch die Meinung der Reformer, die das bei vielen Gelegenheiten zum<br />
Ausdruck gebracht haben. Stellvertretend sei der Reformer Karl Blüml zitiert:<br />
„Das Ziel der Reform waren aber gar nicht die Neuerungen. Das Ziel war, die<br />
Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die<br />
staatliche Kompetenz zurückzuholen.“ (Standard 31.1.1998)<br />
So sieht es auch der Deutsche Philologenverband in seiner Stellungnahme für das<br />
Bundesverfassungsgericht. Er stellt mit Befriedigung fest, daß die Kultusminister<br />
„die Entscheidungskompetenz in Fragen Rechtschreibung nicht länger in privater,<br />
sondern wieder in staatlicher Hand wissen wollen.“<br />
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