REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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kulturrevolutionäre Eifer zu Beginn der neuesten Reformbewegung hatte die<br />
Silbentrennung zum wichtigen Programmpunkt erhoben: Die sogenannten<br />
„Gebildeten“ sollten ihre Überlegenheit nicht mehr durch morphologisch korrekte<br />
Trennung von Pädagoge oder Psychiater zur Schau stellen können. Während der<br />
Duden früher (und der Ost-Duden bis fast zuletzt) überhaupt keine Silbentrennung<br />
angab, überbieten sich die neuen Wörterbücher in der Anführung von immer<br />
absurderen Trennstellen, und dies ist es auch, was den Umfang des Rotgedruckten so<br />
enorm wachsen läßt. Allein die vielen Zusammensetzungen mit hinein oder über, die<br />
jetzt jeweils eine Variante hi-nein bzw. ü-ber bekommen, führen zu mehreren<br />
rotgesprenkelten Seiten. Von den neuen Trennstellen hat sich die nach einem einzelnen<br />
Vokalbuchstaben überhaupt nicht durchgesetzt. In einem Wörterbuch, das nicht einmal<br />
als eigentliches Rechtschreibwörterbuch auftritt, braucht man solchen Unfug also gar<br />
nicht anzuführen. Niemand trennt ja No I-ron, Lötrohra-nalyse usw. Wer Buche-cker,<br />
Bleia-sche, Glaso-fen, Blütendi-agramm, Breake-ven, De-ospray trennt, macht sich<br />
einfach lächerlich. Im übrigen entwirft das Wörterbuch ein ziemlich inkonsistentes<br />
Bild des Benutzers. So soll er ausdrücklich imstande sein, Prospermie oder<br />
intransigent richtig zu zerlegen, aber bei E-kloge, e-klektisch, O-blate soll er diese<br />
törichten Zerlegungen für möglich halten. Trennungen wie Pneu-mektomie brandmarken<br />
den Laien; er sollte wenigstens davor gewarnt werden. Immerhin wird Hämoglobin<br />
wieder organisch getrennt, nachdem der Geschäftsführer der Rechtschreibkommission<br />
und Bertelsmannautor Klaus Heller noch vor kurzem die Konkurrenz<br />
getadelt hatte, weil sie anders als Bertelsmann die Trennung Hämog-lobin nicht<br />
verzeichnete. Auch von A-nas-tig-mat (Bertelsmann) hat man wieder Abstand<br />
genommen. Aber der Rest ist schlimm genug: Bläu-epilz, Ge-odreieck, Gli-azelle,<br />
Foli-oformat! Was sind denn diese Epilze, Odreiecke, Azellen und Oformate? Der<br />
Mediziner weiß, was Kak-idrose ist; warum sollte er seiner Schreibkraft, die es<br />
vielleicht nicht weiß, entgegenkommen und ihr die Trennung Kaki-drose durchgehen<br />
lassen? Der Leser interessiert sich für das, was der Fachmann sagt, nicht für den<br />
Wissensstand der Schreibkraft.<br />
DUDEN: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig<br />
neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u. a. 1999<br />
Die Neubearbeitung dieses Werkes ist „in neuer Rechtschreibung verfasst“. Obwohl es<br />
sich keineswegs um die amtliche Neuregelung handelt, war die Rechtschreibreform<br />
der einzige Grund, warum das Werk sofort nach dem Abschluß der zweiten Auflage<br />
völlig umgearbeitet werden mußte.<br />
Die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission war bekanntlich schon im Dezember<br />
1997, also lange vor dem Inkrafttreten der Reform, zu der Einsicht gelangt, daß<br />
wesentliche Korrekturen an der Vorlage „unumgänglich notwendig“ seien. Da die<br />
Kultusminister, besonders aber das Bundesinnenministerium jedoch darauf bestanden,<br />
die Reform ohne jede Änderung in Kraft zu setzen, gerieten die Reformer in eine<br />
peinliche und die Wörterbuchverlage in eine geradezu existenzgefährdende Lage. Es<br />
sprach sich nämlich herum, daß die Reform keinesfalls Bestand haben werde;<br />
Hausorthographien der Zeitungsverlage und Nachrichtenagenturen sprossen aus dem<br />
Boden, und der gesamte Wörterbuchmarkt bis hin zu den Enzyklopädien brach nach<br />
der kurzen Blüte des Jahres 1996 nahezu völlig zusammen. Das Haus Duden hatte<br />
jedoch beschlossen, gleichsam alles an die Front zu werfen, das heißt sämtliche<br />
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