REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Auf dieses zentrale Argument, das die ganze neue Getrenntschreibung als von Grund<br />
auf verfehlt erweist, gehen A&S nicht ein. Statt dessen verrennen sie sich in die<br />
groteske Behauptung, die Dienst tuende Ärztin sei unzulässig, weil das Partizip nicht<br />
selbständig vorkomme. 104 Wie steht es denn mit die ihren Dienst tuende Ärztin, der nur<br />
seine Pflicht tuende Beamte? Daß tuend oder habend „nicht selbständig vorkommen“,<br />
bedeutet etwas ganz anderes als die scheinbar gleiche Aussage über sagendste usw. –<br />
Tuend, habend, sagend und viele andere Verbformen kommen sehr wohl selbständig,<br />
d. h. als eigene Wortformen vor, sie kommen aber nicht allein vor, weil nämlich die betreffenden<br />
Verben eine obligatorische Ergänzung fordern! (Dienst habend steht<br />
übrigens auf dem Einband des neuen Rechtschreibdudens als werbendes Beispiel für<br />
die geplante Neuschreibung. Ob sich der Duden dies nun ausreden läßt? 105 )<br />
Der Vorwurf der „Vernichtung“ von Wörtern ist, anders als A&S behaupten, keineswegs<br />
unsinnig, denn die gewaltsame Getrenntschreibung echter Zusammensetzungen<br />
ist ein Versuch, sie als Wörter zu vernichten.<br />
Horst H. Munske, der über Listen der erwartbaren Änderungen in den Wörterbüchern<br />
von Duden verfügt, schätzte anläßlich seines Austritts aus der Kommission, daß durch<br />
die gewaltsame Getrenntschreibung rund 800 bis 1000 Wörter aus dem Duden und<br />
rund 4000 Wörter aus der Dudenkartei praktisch getilgt werden. Der Anfang dieser<br />
Wortvernichtung ist bereits gemacht. Peter Eisenbergs Kommentar sei nochmals zitiert:<br />
„Mindestens 500 bis 800 Wörter des normalen Rechtschreibwortschatzes sind ganz<br />
getilgt worden. (...) Aus der Geschichte des Deutschen ist kein vergleichbarer Angriff<br />
auf das Sprachsystem bekannt.“ 106<br />
Daß getrennt geschriebene Gefüge dasselbe bedeuteten wie die aufgelösten Komposita<br />
und somit in Wirklichkeit nichts verlorengehe, trifft nicht zu. Das gilt nicht nur für die<br />
genannten Verbindungen mit Partizipien des Präsens, sondern auch für die Auflösung<br />
von sogenannt (neu: so genannt), für die gewaltsame Großschreibung von jdm. Feind<br />
sein u.v.a.<br />
4. Groß- und Kleinschreibung<br />
Die Reformer waren noch 1993 für die „gemäßigte Kleinschreibung“, deren<br />
Einführung ursprünglich sogar das eigentliche Hauptziel der Reformbemühungen darstellte.<br />
Gegen ihren Willen haben sie auf politischen Druck die vermehrte Großschreibung<br />
ausarbeiten müssen. Wie sehr sie hinter der geltenden Regelung zurückbleibt, hat<br />
inzwischen Horst H. Munske ausführlich dargestellt.<br />
A&S behaupten ohne Namensnennung, „die Kritiker“ schlössen sich der Auffassung<br />
von Utz Maas an, groß geschrieben würde der Kopf eines nominalen Satzteils. Wer<br />
mag damit gemeint sein? Der von den Reformern favorisierte, in der Tat „noch<br />
jüngere“ Ansatz des Reformers Peter Gallmann führt zu einer radikalen Vermehrung<br />
der Großschreibung; Gallmann will sogar noch über die Neuregelung hinausgehen und<br />
104 Die KMK, die sich stets nur von den Reformern beraten läßt, hat sich diesen Unsinn<br />
sofort zu eigen gemacht und führt die eigentümliche Schaedersche Grammatik gegen<br />
reformkritische Bürger ins Feld.<br />
105 Nachtrag: In der zweiten Auflage des Reformduden (2000) bleibt es bei Dienst habend;<br />
da auch Bertelsmann (1999) jetzt so schreibt, scheint die Kommission nachgegeben zu<br />
haben.<br />
106 Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 129.<br />
115