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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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aus Bd. 1. Dort fanden sich mindestens 4 Verstöße gegen die Neuregelung, was<br />

40.000 orthographische Fehler für das Gesamtwerk bedeuten würde.<br />

• Der Bertelsmann-Verlag brachte sein massenhaft verbreitetes Universallexikon noch<br />

1998 in der „alten“ Rechtschreibung heraus, ebenso kurz darauf der Knaur Verlag<br />

das „Knaur Lexikon A – Z“. Erst seit 2000 forciert der Bertelsmannkonzern die<br />

Umstellung seiner Produkte, vor allem bei Übersetzungen aus Fremdsprachen und<br />

im Sachbuchbereich.<br />

• Das „Institut für deutsche Sprache“, das man wohl als eigentliche Brutstätte der<br />

Rechtschreibreform bezeichnen kann, gibt Ende 1997 eine monumentale<br />

„Grammatik der deutschen Sprache“ in drei Bänden heraus – in „alter“ Rechtschreibung!<br />

(Diese Grammatik enthält übrigens auch eine recht fehlerhafte<br />

Darstellung der geplanten Reform – was beweist, daß man die Neuregelung sogar<br />

am Ort des Geschehens nur sehr schwer verstehen kann.)<br />

• Germanistische Universitätsinstitute haben die zuständigen Kultusminister offiziell<br />

davon in Kenntnis gesetzt, daß sie keine Staatexamensaufgaben mehr stellen und<br />

keine Staatsexamensklausuren mehr korrigieren werden, wenn es bei der<br />

Einführung der neuen Rechtschreibung bleibe, die den Gegenstand des<br />

Germanistikstudiums, die deutsche Sprache, verunstalte.<br />

Was der Begriff „Hausorthographie“ bedeutet, kann man sich an der Zeitung „Die<br />

Woche“ klarmachen, die als einziges größeres Blatt am 1. Januar 1997 auf die neue<br />

Rechtschreibung umstellte (wie sie seither auf der ersten Seite jeder Ausgabe hervorhob;<br />

dennoch stieg die Auflage nicht, und 2002 mußte die Zeitung ihr Erscheinen<br />

einstellen). Die Kommasetzung beim Infinitiv ist weitgehend dem Zufall überlassen, d.<br />

h. unter genau gleichen Bedingungen steht das Komma oder auch nicht: Laut und<br />

aggressiv weigern sie sich auf den ihnen zugewiesenen Stühlen Platz zu nehmen.<br />

(9.4.1998) – Auf Schlichers Frage, wer meine, etwas gelernt zu haben, heben fast alle<br />

den Finger. (ebd.) Die neue Regel § 77(5) ist nicht verstanden, das Komma nach<br />

Vorgreifer-es fehlt also oft: weil es ihr Mann „kultig“ findet dort einzukaufen<br />

(27.3.1998), Vernünftiger als generelle Verbote wäre es die Schattenwirtschaft (...) zu<br />

legalisieren (ebd.) usw.<br />

Die Zeitung hat mehrmals einen Sonderdruck beigelegt, der die Neuregelung in<br />

vereinfachter Weise darbietet und zugleich in einem Wörterverzeichnis die von der<br />

„Woche“ selbst bevorzugten Varianten eigens kennzeichnet. Wo neben der weiterhin<br />

zulässigen bisherigen Schreibung eine neue eingeführt wird, gilt sie fast immer als<br />

Vorzugsvariante der „Woche“. Daher liest man in der bereits zitierten Ausgabe vom<br />

27.3.1998: Auf Grund des Terrors musste ein Paar schon aufgeben, eine<br />

Gesetzesinitiative zu Gunsten der Datschenpächter, wie dieser Langzeiteffekt zu<br />

Stande kommt. Hier werden also Archaismen wiederbelebt, längst übliche<br />

Univerbierungen rückgängig gemacht. Nicht nachvollziehbar ist, warum die Woche<br />

sich vornimmt, Tee-Ernte, aber Kleeernte zu <strong>schreiben</strong>. Sie schreibt auch hier zu<br />

Lande. Die Zusammenschreibung von Besserverdienende ist sinnvoll, entspricht aber<br />

nicht den neuen Regeln, die besser Verdienende verlangen; ebenso Andersdenkende<br />

statt anders Denkende, alles bisher Dagewesene statt da Gewesene (6.11.1998). Auch<br />

zu Gute kommen (18.4.1998) ist falsch und wäre ohne den Neuschreibeifer nicht<br />

passiert.<br />

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