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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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edachten Folgen der neuen Kommaregeln zum Beispiel haben bei ihnen eine bis<br />

heute andauernde Sprachlosigkeit bewirkt.<br />

Was kostet die Rechtschreibreform?<br />

Die Reform wurde als „kostenneutral“ angepriesen, weil die Übergangsfrist es den<br />

Schulen und auch den Schulbuchverlagen ermögliche, die Umstellung der Bücher im<br />

Rahmen der normalen Ersatzbeschaffung vorzunehmen. Noch am 5.7.1996 schrieb<br />

Dieter E. Zimmer in der „Zeit“, die Neuregelung koste „dank der vorgesehenen<br />

Allmählichkeit ihrer Einführung bis zum Jahre 2005 auch keine fünf Milliarden,<br />

sondern fast nichts“. Als die Kritiker im Herbst 1996 von Milliardenkosten sprachen,<br />

wurden sie als Erfinder von „Katastrophenszenarios“ verhöhnt.<br />

Im Sommer 1997 las man es plötzlich anders: Der Verband der Schulbuchverlage, der<br />

sich am entschiedensten für die weitere Durchsetzung der Reform aussprach und alle<br />

Bundestagsabgeordneten in diesem Sinne zu beeinflussen versuchte 59 , ließ durch<br />

seinen Geschäftsführer mitteilen: „Wenn man hochrechnet, was da insgesamt bereits<br />

ausgegeben wurde, kommt man auf Milliarden-Investitionen.“ 60 Bis Ende 1997 sollen<br />

die Zusatzkosten der Umstellung nach Angaben desselben Verbandes sich auf 100<br />

Mill. Mark belaufen. – Zwischendurch hatte der Reformer Zabel geschrieben, nicht die<br />

Reform, sondern ein Reformstopp koste Milliarden. Noch skurriler ist ein<br />

Diskussionsbeitrag von F. Menze. Er rechnet vor, die Reform erspare dem Staat<br />

innerhalb von zehn Jahren elf Milliarden Mark, und zwar durch den Wegfall von<br />

1.250.000.000 Unterrichtsstunden aufgrund vereinfachter Regeln. 61 In Wirklichkeit ist<br />

der Rechtschreibunterricht infolge der Reform intensiviert worden wie noch nie. Aber<br />

was zählt das angesichts des Zahlenrausches, den der Autor (Inhaber des AOL-Verlags,<br />

der die Reform zusammen mit Bertelsmann vermarktet, und mit seiner Frau Verfasser<br />

von Rechtschreibbüchern, die u. a. bei Rowohlt erscheinen) am 25. Februar 1997 im<br />

Börsenblatt für den deutschen Buchhandel erscheinen ließ.<br />

Nach dem 1. August 1998 bot ein Management-Institut in sechzehn Großstädten ganztägige<br />

„Original Duden-Seminare“ an, zu 525 DM pro Teilnehmer. Andere Schulungen<br />

sind noch teurer. Ein großer Versicherungskonzern beschloß die orthographische<br />

Umstellung und beauftragte damit ein Mitglied der Rechtschreibkommission. Auch<br />

eine Handvoll Germanistikprofessoren, die mit der Reform nichts zu tun hatten,<br />

versuchten mit Rechtschreibbüchern und durch Volkshochschulseminare etwas<br />

hinzuzuverdienen. Das Milliardengeschäft mit der Rechtschreibreform verursacht auch<br />

dem Staat nicht nur eigene Umstellungskosten, sondern erhebliche Steuerausfälle, da<br />

die Mehrkosten der Verlage, die Umschulungs- und Anschaffungskosten der Wirtschaft<br />

selbstverständlich steuermindernd geltend gemacht werden.<br />

59 Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind von den Verlagen privat angerufen<br />

und intensiv bearbeitet worden. Der Erfolg war, daß der Gruppenantrag von fünfzig<br />

Abgeordneten gegen die Rechtschreibreform schon bald auf keine Mehrheit im Plenum<br />

mehr hoffen konnte und die Behandlung dieses Gegenstandes immer wieder hinausgezögert<br />

wurde.<br />

60 „Die Zeit“ vom 7.8.1997: „Teure Ignoranz“.<br />

61 In ähnlichen Zahlen schwelgte Jahrzehnte vorher schon Leo Weisgerber, der 200<br />

Millionen Kinderstunden pro Jahr allein durch die Groß- und Kleinschreibung vergeudet<br />

sah (Weisgerber 1964, S. 101).<br />

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