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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Kommaregelung, besonders § 77(5), ist so schwer zu verstehen, daß Gallmann und<br />

Sitta sie im „Handbuch Recht<strong>schreiben</strong>“ (Zürich 1996) und im Duden-Taschenbuch<br />

(1996) nachweislich falsch interpretieren, ebenso die Dudenredaktion in Duden Bd. 9<br />

und im Taschenbuch „Punkt, Komma und alle anderen Satzzeichen“ (1997), von der<br />

falschen Anwendung in den eigenen Texten der Reformer ganz zu schweigen. Die neue<br />

Getrennt- und Zusammenschreibung ist wegen Unverständlichkeit nicht anwendbar.<br />

Ob es weitgehend oder weit gehend, gleichbleibend oder gleich bleibend heißen muß,<br />

ist offenbar auch bei größter Anstrengung nicht herauszufinden. Die Anwendung der<br />

entsprechenden Beliebigkeitsklausel ist in diesen Fällen nur durch das Versagen der<br />

Reformer gerechtfertigt und nicht, wie es eigentlich sein sollte, durch eine objektiv<br />

vorhandene Übergangszone im sich wandelnden Sprachsystem.<br />

Das neue Regelwerk ist um ein Drittel umfangreicher als das bisherige, und selbst<br />

wenn man die vermehrten Beispiele abzieht, bleibt es mindestens gleich umfangreich.<br />

Die Kommaregeln sind nicht von 52 auf 9 reduziert, wie immer wieder zu lesen ist,<br />

sondern umfassen nach wie vor 10 DIN-A4-Seiten. Löwer spricht gelegentlich von den<br />

„inzwischen ausnahme-gesättigten Regeln von 1901/02“. Man kann ihm nur<br />

empfehlen, einmal das neue Regelwerk zur Hand zu nehmen und beispielsweise §§ 34<br />

und 36 nachzulesen.<br />

Die außerordentliche Kompliziertheit der Neuregelung zusammen mit ihrer<br />

Inkonsistenz in zentralen Bereichen hat schon jetzt die praktische Folge, daß der<br />

Rechtschreibunterricht an den Schulen in bisher unbekannter Weise intensiviert und<br />

damit auf- statt abgewertet wird. (Diese Intensivierung hat gelegentlich sogar zu<br />

unspezifischen Verbesserungen der Rechtschreibleistung geführt; auch dazu, daß<br />

mancher Lehrer sich zum erstenmal mit den Grundlagen der Orthographie beschäftigte.<br />

Leider werden ja unsere Lehramtsstudenten nie systematisch in Rechtschreiblehre<br />

ausgebildet, sondern schlagen von Fall zu Fall im Duden nach wie jeder Laie.) Das<br />

Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München wendet selbst<br />

diese Entwicklung noch ins Positive, wenn es in seinen (übrigens äußerst fehlerhaften)<br />

„Handreichungen“ schreibt:<br />

und<br />

„Zweifellos wird die Neuregelung dem Rechtschreibunterricht insgesamt einen<br />

gewaltigen Impuls geben.“ 142<br />

„Die Neuregelung der Rechtschreibung bedingt, dass für jeden – Lehrer und<br />

Schüler – der Umgang mit einem Rechtschreiblexikon selbstverständlicher sein<br />

muss denn je.“ 143<br />

Dies trifft zu. Auch nach zwei Jahren muß der Neuschreiber fortwährend nachschlagen,<br />

um die korrekte Schreibweise von Allerweltswörtern wie z. B. weitgehend<br />

herauszufinden (und wird dennoch – wie gerade dieses Beispiel zeigt – in ein<br />

orthographisches Labyrinth geschickt, aus dem es oft keinen Ausweg gibt 144 ).<br />

142 Handreichungen „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“. ISB München 1996, S.<br />

30.<br />

143 Ebd. S. 41.<br />

144 weitgehend wird nach § 36 getrennt geschrieben, weil der erste Teil steigerbar ist: weit<br />

gehend. Wird er jedoch gesteigert, dann schreibt man ihn nach § 34(1) in Verbindung mit<br />

§ 36 E1 zusammen: weitergehend ... Der Blick ins amtliche Wörterverzeichnis bringt<br />

keine Auflösung dieses Paradoxons, sondern erhöht die Verwirrung. Wie sich die<br />

171

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