REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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hält, einen gangbaren Weg zwischen Tradition und orthographischer Neuerung<br />
einzuschlagen. Einzelne spätere Anpassungen an die künftige Entwicklung des<br />
Sprachgebrauchs behalten wir uns vor.“<br />
Eine Durchsicht der NZZ (9. Juni 2000) ergibt, daß im Durchschnitt eine Neuschreibung<br />
pro Seite auftritt.<br />
Im Herbst 2000 wurde bekannt, daß die NZZ, wenn sie damals vom Vorhaben der<br />
F.A.Z. erfahren hätte, die Agenturschreibung zum 1. August wieder aufzugeben, bei<br />
der bisherigen Schreibweise geblieben wäre. 162<br />
Die Schweiz geht aber von Anfang an auch amtlich eigene Wege. Bei der Fremdworteindeutschung<br />
aus lebenden Sprachen macht sie mit Rücksicht auf die Vielsprachigkeit<br />
der Nation nicht mit. Die Schweizerische Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit der<br />
Staatsschreiber-Konferenz gab 1998 einen „Leitfaden zur Neuregelung der deutschen<br />
Rechtschreibung“ heraus, worin verschiedene Abweichungen von der Neuregelung<br />
empfohlen bzw. festgelegt werden. Es heißt u. a.:<br />
„Unter dem Regime der herkömmlichen Regeln haben die Schreibenden oft nach<br />
der Intuition entschieden, ob eine Verbindung zusammen- oder getrennt<br />
geschrieben wird. Dabei liessen sie sich in erster Linie von der Betonung leiten.<br />
Ist der erste Bestandteil betont, so handelt es sich in aller Regel um eine<br />
Zusammensetzung und man schrieb zusammen: freischwebend, gutbezahlt, es ist<br />
mir schwergefallen, hochgebildet. Werden hingegen beide Bestandteile betont, so<br />
handelt es sich um eine Wortgruppe und man schrieb entsprechend getrennt: ein<br />
frei schwebender Ballon, die Arbeit ist gut bezahlt, sie ist schwer gefallen, sie ist<br />
hoch gebildet. In diesem Bereich der Zusammen- und Getrenntschreibung stösst<br />
die Reform zum Teil auf Kritik. Deshalb soll in solchen Fällen – sie betreffen<br />
ausschliesslich Verbindungen aus Adjektiv und Verb (oft als Partizip) – neben der<br />
Neuschreibung auch die herkömmliche Schreibung weiter verwendet werden<br />
können.“ (24 f.)<br />
Nach der Umstellung<br />
In allen umgestellten Zeitungen findet man außerordentlich viele Verstöße gegen die<br />
selbstgewählte Neuschreibung, hauptsächlich durch unzulässige Verallgemeinerung<br />
der neuen Regeln oder natürlich durch „Rückfall“ in die bessere Erwachsenenorthographie.<br />
Geradezu epidemisch breiten sich zwei Fehlertypen aus, die hier durch<br />
einige Beispiele illustriert seien:<br />
Das hat sich Grund legend verändert. (Nürnberger Nachrichten 25.7.2000)<br />
die neuen Bild gebenden Verfahren (ebd. 25.7.2000)<br />
Die Röttenbacher Kommunalpolitiker wollen die Ortsbild prägenden Weiher erhalten.<br />
(ebd. 5.2.2000)<br />
das Welt umspannende Computernetz (FAZ 23.2.2000)<br />
von Magen umwühlendem Horror (Welt 29.3.2000)<br />
bei der Appetit fördernden Beihilfe (Welt 7.4.2000)<br />
162 Allerdings wußte das die F.A.Z. damals selbst noch nicht mit letzter Sicherheit. Zwar<br />
hatte die Redaktion bereits im März auf einer Sondersitzung den Ausstieg beschlossen,<br />
doch bestanden auf seiten der Herausgeber noch Bedenken. Sie wurden erst durch den<br />
Vorstoß der „Welt“ vom 25.7.2000 überwunden.<br />
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