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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Art, die von Gedrucktem eine perfektere Orthographie erwarten dürfen, als sie selbst<br />

zu leisten imstande sind. Im Duden waren zuvor viele Normierungen nur im<br />

Wörterverzeichnis, also einzelwortgebunden verzeichnet, aber sie waren vorhanden.<br />

Ihre Überführung in die verallgemeinerte Darstellung des Regelwerks, mithin in die<br />

sog. „doppelte Kodifizierung“, bedeutete keine zusätzliche Regelung. Die Schule<br />

mußte und muß weiterhin für ihren gestuften Unterricht aus dem Gesamtkorpus von<br />

Regeln und Wörtern auswählen. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine neue<br />

Äußerung des führenden Reformers Augst:<br />

„Nicht alle Regeln, Ausnahmeregeln und Ausnahmeregeln von den Ausnahmeregeln<br />

waren Gegenstand des Rechtschreibunterrichts. Es hat immer ein<br />

heimliches Curriculum der wichtigsten Regeln gegeben. Das bleibt auch nach der<br />

Neuregelung so. Manches ist zwar weggefallen, wie die schwierigen Regeln des<br />

Kommas vor und oder beim Infinitivsatz 155 , aber generell ist die amtliche<br />

Regelung, die ja auch die Belange der Drucker und Setzer berücksichtigen muss,<br />

zu umfangreich: sie muss für die Schule reduziert werden.“ (Gerhard<br />

Augst/Mechthild Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht. Stuttgart<br />

1998, S. 90)<br />

Es wird nicht klar, wer die Politiker (BMI und KMK) überhaupt veranlaßte, Reformplanungen<br />

auf den Weg zu bringen. Das Institut für deutsche Sprache (IDS) und die<br />

dann tätig werdenden Reformer waren in Wirklichkeit die treibenden Kräfte, die sich<br />

den „politischen Auftrag holten“, wie es in Reformerschriften zu heißen pflegt. KMK<br />

und Bundesinnenministerium waren nicht Initiatoren, sondern „Adressaten für Anträge<br />

zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung“ (so der Reformer Zabel in Augst et<br />

al. [Hg.] 1997, S. 7). Dieser Gesichtspunkt ist darum so wichtig, weil alle mit Reformarbeiten<br />

Beschäftigten immer schon bereitstanden und in allen wesentlichen<br />

Forderungen übereinstimmten. Die Rekrutierung der Reformarbeitsgruppen auf dem<br />

Wege der Selbsternennung und Kooptation liegt weitgehend im dunkeln, bleibt aber<br />

entscheidend, weil damit die Richtung der Reform von vornherein feststand. So war<br />

klar, daß in diesem Falle auf der Linie der gescheiterten Stuttgarter und Wiesbadener<br />

Empfehlungen weitergearbeitet werden würde. Es zeigte sich bald, daß die Reformer<br />

hauptsächlich weiterhin auf die gemäßigte Kleinschreibung hinarbeiteten, obwohl die<br />

Bearbeitung dieses ganzen Komplexes ihrem ausdrücklichen Auftrag widersprach, wie<br />

auch die Auftraggeber seinerzeit kritisch feststellten 156 . Das Urteil geht auf diesen<br />

Hergang nicht ein. Für die siebziger Jahre stellt es schlicht fest, daß „sich die<br />

Diskussion um eine Rechtschreibreform neu belebte“ (wer belebte sie?). In den vier<br />

deutschsprachigen Staaten „wurden Arbeitsgruppen gebildet“ (von wem?). Sie traten<br />

seit 1980 als „Internationale Arbeitskreis für Orthographie zu gemeinsamen Sitzungen<br />

zusammen“. Hinter dieser Selbstbezeichnung steckte keine offizielle Gründung und<br />

zunächst auch kein Mandat.<br />

Unter den Punkten 2 a) bis i) beansprucht das Urteil, „die wichtigsten Neuerungen“<br />

anzuführen. Das trifft jedoch nur teilweise zu. So scheinen die Richter zu glauben, daß<br />

Dränage, Mohär, Polonäse, Jacht, Kode und Sketsch neu eingeführte Varianten seien;<br />

in Wirklichkeit stehen sie alle schon im vorigen Duden. Im Folgenden werden viele<br />

155 Interessanterweise befolgen Augst/Dehn und die anderen Reformer genau die weggefallenen<br />

Kommaregeln! Diese scheinen also doch noch irgendwo zu existieren.<br />

156 Sogar öffentlich, vgl. Leserbrief von Kultusminister und KMK-Präsident Gölter in der<br />

F.A.Z. vom 22.3.1989.<br />

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