REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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wiederum wirkt, da es ja bloß um die Entzerrung der drei gleichen Buchstaben innerhalb<br />
eines nach wie vor adjektivischen Wortes geht, unangemessen, so daß nun die<br />
„Empfehlung“ gegeben wird, vom Bindestrich doch lieber keinen Gebrauch zu<br />
machen! Das sind die unerwünschten Folgen des vielgerühmten Wegfalls der alten<br />
Dreibuchstabenregel, die anscheinend gar nicht so dumm war – und übrigens auch<br />
keine praktischen Schwierigkeiten im normalen Schreiballtag verursachte. Der<br />
Hinweis der Kritik, daß drei gleiche Buchstaben, wenn sie in den Sprachen der Welt<br />
überhaupt vorkommen, jedenfalls eine Rarität sind und auch in der bisherigen<br />
deutschen Orthographie äußerst selten auftraten, wird nicht beachtet.<br />
Nach dem Doppelpunkt wird auch die Kleinschreibung in bestimmten Fällen wieder<br />
zugelassen, aber es gelingt den Verfassern nicht, diese Fälle angemessen abzugrenzen.<br />
Statt sich – mit welchen Ausdrücken auch immer – den eingebürgerten Begriff des<br />
„Freien Themas“ zu eigen zu machen, um<strong>schreiben</strong> sie den Sachverhalt in ganz<br />
unprofessioneller, geradezu kindlicher Weise:<br />
„Wenn statt des Doppelpunktes auch ein Komma oder ein Gedankenstrich stehen<br />
kann, ist am Beginn eines Satzes nach dem Doppelpunkt Groß- oder Kleinschreibung<br />
möglich.“<br />
Ist es denn so einfach zu erkennen, ob ein Komma oder ein Gedankenstrich stehen<br />
kann?<br />
Der letzte Beispielsatz ist kaum akzeptabel:<br />
„Glücklich betrachtete sie ihr Werk: Die/die Arbeit war vortrefflich gelungen.<br />
(Auch: Glücklich betrachtete sie ihr Werk, die Arbeit war vortrefflich gelungen.)“<br />
Falls hier ein Komma stehen kann, ist es gewiß nicht das Äquivalent eines<br />
Doppelpunkts, der typischerweise zwischen Thema und Kommentar steht.<br />
„Zur Groß- und Kleinschreibung“<br />
Bei der Groß- und Kleinschreibung legen die Verfasser wiederum besonderen Wert<br />
darauf, daß die neuen Wörterbücher „nicht unmittelbar geändert werden“ müssen.<br />
Dabei unterläuft ihnen allerdings ein schwerer Fehler. Sie behaupten nämlich, in<br />
„mehrteiligen Substantiven“ aus fremden Sprachen könne laut Regelwerk ein<br />
nichterster Bestandteil „theoretisch“ groß oder klein geschrieben werden, „je nachdem,<br />
wie stark der Charakter eines Zitatwortes noch empfunden wird, zum Beispiel: die<br />
Artificial intelligence / die Artificial Intelligence (...)“ Das ist jedoch falsch. Wenn es<br />
sich um ein Zitatwort handelt, wird auch der erste Bestandteil nicht groß geschrieben:<br />
artificial intelligence, common sense usw. Ist es aber kein Zitatwort, so wird laut<br />
Regelwerk nicht nur der erste Bestandteil, sondern jeder substantivische Bestandteil<br />
groß geschrieben: Artificial Intelligence, Alma Mater usw. Die Verfasser behaupten zu<br />
Unrecht, die Wörterbücher hätten sich „im Allgemeinen dafür entschieden,<br />
substantivische Bestandteile fremdsprachiger Fügungen in nichterster Position generell<br />
großzu<strong>schreiben</strong>“. Sie durften gar nicht anders. Varianten wie Alma mater waren daher<br />
auch im amtlichen Wörterverzeichnis korrekterweise nicht angeführt, die neue Großschreibung<br />
war vielmehr als allein zulässig vermerkt. Die neue Formulierung „können<br />
... großgeschrieben werden“ ist daher keineswegs, wie die Verfasser glauben machen<br />
wollen, eine Verdeutlichung der neuen Regel, sondern eine substantielle Änderung<br />
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