REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Sprachteilhaber keine Chance mehr hat. Ebenso verfährt Augst in seinem<br />
Familienbuch. Die ganze Wortsippe um Dichtung ('Poesie') wird ohne Umstände unter<br />
das Adjektiv dicht subsumiert. Als Rechtfertigung dient folgende Behauptung:<br />
„dichten ein sprachliches Kunstwerk (in<br />
gebundener Form) schaffen; “<br />
Die „Bemerkung“ dazu lautet:<br />
„Manche Informanten wissen, dass dichten ,ein Kunstwerk schaffen‘ etym. zu<br />
dictare gehört, sie sehen daher nicht den (neu motiv.) Zusammenhang mit dicht.“<br />
Man muß keineswegs wissen, daß dichten von dictare kommt, um sicher zu sein, daß<br />
es jedenfalls nichts mit dicht zu tun hat. (Übrigens scheinen die „Informanten“ hier<br />
nicht dieselben zu sein, die säkularisieren eher an sakral als an säkular anschließen!)<br />
Die von Augst erfundenen Schreibweisen Stängel und schnäuzen werden mit einer<br />
ebenso künstlichen Legitimation versehen, indem er sie unter Stange und Schnauze<br />
einordnet, als sei dies „heute“ selbstverständlich.<br />
Durch den Verzicht auf eigene semantische Anstrengungen werden fundamentale<br />
Fehler der Vorlagen übernommen. Betrachten wir auszugsweise den Eintrag gut. Es<br />
werden vier Bedeutungsgruppen unterschieden, ohne Andeutung einer Entwicklung.<br />
Die dritte Bedeutung soll sein:<br />
in enger freundschaftlicher Beziehung zu jmdm. stehend: ein guter Freund,<br />
Bekannter; einer freundschaftlichen, vertrauensvollen Beziehung zu jmdm.<br />
entsprechend: in guter Nachbarschaft leben<br />
Diese wortwörtlich aus dem HDG abgeschriebenen Definitionen leiden am Fehler der<br />
„konstruierten Mehrdeutigkeit“ (E. Leisi): Man projiziert die Bedeutung des<br />
Substantivs in das begleitende Adjektiv hinein. In Wirklichkeit ist guter Freund ebenso<br />
zu interpretieren wie das einer ganz anderen Gruppe zugeschlagene guter Schüler: ,ein<br />
Freund bzw. Schüler, wie er sein soll‘. In beiden Fällen ist das Attribut relational, d. h.<br />
es geht nicht additiv um ein X, das erstens Freund bzw. Schüler und zweitens gut ist.<br />
Innerhalb der Familien sind die Einzelwörter alphabetisch geordnet. Insbesondere die<br />
Präfix- und Partikelverben stehen völlig gleichförmig in langen Reihen untereinander,<br />
jeweils versehen mit der HDG-Definition. Das verdunkelt die abgestufte Motiviertheit,<br />
die für jedes Wort gesondert zu ermitteln wäre. Unter der reichen Sippe treten<br />
beispielsweise findet man den Vertreter. Natürlich kann man beim Nachdenken den<br />
Zusammenhang mit treten zweifelsfrei erschließen, aber es ist doch unverkennbar, daß<br />
man normalerweise nicht an das Verb treten denkt, wenn man hört: Vertreter von<br />
Partei und Gewerkschaft waren anwesend (S. 1505). Andererseits wird beispielsweise<br />
vermachen aus der Sippe machen herausgelöst und gesondert lemmatisiert. Das ist<br />
ebenso willkürlich.<br />
Durch die sogenannte Rechtschreibreform werden bekanntlich viele hundert Wörter<br />
aus dem deutschen Wortschatz getilgt. Augsts Versicherung, sie blieben als<br />
Phraseologismen erhalten, stimmt nur zum Teil. Und selbst wo die Wortgruppe noch<br />
erhalten bleibt, ist sie oft kaum auffindbar versteckt, z. B. fleischfressend als Fleisch<br />
fressend unter essen. Außerdem geht natürlich gerade die Wortbildungsbedeutung des<br />
Kompositums verloren und damit der Grund, warum es überhaupt zur Komposition<br />
gekommen ist.<br />
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