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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Die staatlich verordnete Großschreibung der Tageszeiten in heute Abend usw. hat die<br />

erstaunliche Folge, daß dort, wo die Grammatik zuvor ein Adverb erkannte, nun ein<br />

Substantiv stehen soll; das Beispiel Donnerstag abend ist vorsichtshalber ersatzlos<br />

gestrichen. Die Wortvernichtung geht noch weiter. Gestrichen sind aufsichtführend,<br />

unverrichteterdinge, sogenannt – lauter Wörter, denen die Rechtschreibreform den<br />

Garaus gemacht hat. Ein aufgelöstes Stichwort so genannt ist im Register zwar noch zu<br />

finden, allerdings mit einem nunmehr blinden Verweis auf einen Abschnitt, der das<br />

Stichwort auch in der aufgelösten Form gar nicht mehr enthält.<br />

Die Bereitschaft der Verfasser, sich von den staatlich autorisierten Orthographen über<br />

grammatische Sachverhalte belehren zu lassen, ist erstaunlich. Der Orthographie wird<br />

zugetraut, uns nicht nur über die Schreibweise der Wörter zu informieren, sondern<br />

sogar darüber, welche Wörter es überhaupt gibt. Syntax und Wortbildung liegen aber<br />

der Orthographie voraus, sie können durch orthographische Eingriffe, mögen sie auch<br />

mit staatlicher Autorität vorgenommen sein, nicht geändert werden. Daß ebendies nun<br />

versucht wird, noch dazu an so prominenter Stelle, gehört zu den beschämendsten<br />

Nebenfolgen der unglücklichen Schreibveränderung.<br />

Duden: Die deutsche Rechtschreibung. 22. Auflage Mannheim 2000<br />

Ein Hauptfehler der Neuregelung war es, die Adjektive vom Typ besorgniserregend<br />

aufzulösen und statt dessen nur noch das syntaktische Gefüge aus einem Partizip und<br />

einer substantivischen Ergänzung gelten zu lassen: Besorgnis erregend. Grammatische<br />

und stilistische Gründe sprechen dafür, daß es auch das zusammengesetzte Adjektiv<br />

weiterhin geben muß. Die Hauptgründe sind die gesamthafte Steigerbarkeit (noch<br />

besorgniserregender, sehr besorgniserregend) sowie der prädikative Gebrauch (das ist<br />

besorgniserregend). In beiden Fällen ist das Partizipialgefüge ausgeschlossen. Dieser<br />

schlagende Einwand, der sich übrigens bereits in einem Duden-Taschenbuch von 1996<br />

aus der Feder der führenden Schweizer Reformer Gallmann und Sitta findet, führte im<br />

Dezember 1997 zu Vorschlägen der Rechtschreibkommission, den Paragraphen 36<br />

einer „unumgänglich notwendigen“ Änderung zu unterziehen. Nach der Ablehnung<br />

dieser Vorschläge durch die Kultusminister und den deutschen Innenminister verlegten<br />

sich die Reformer darauf, die Änderung als bloße Interpretation auszugeben und sie<br />

stillschweigend in die neuesten Wörterbücher und sonstigen Rechtschreibmaterialien<br />

einzuschleusen. Den expliziten Widerspruch zur amtlichen Regelung nehmen sie in<br />

Kauf. So steht im amtlichen Wörterverzeichnis ganz eindeutig: Furcht<br />

[einflößen/einflößend]; so stand es dann auch im Duden von 1996, aber 2000 liest man<br />

eine Furcht einflößende, auch furchteinflößende Vorstellung. Ebenso Furcht<br />

erregend/furchterregend – beides mit Hinweis auf die gesamthafte Steigerung. Hier<br />

einige dieser Revisionen:<br />

Abscheu erregend/abscheuerregend<br />

Achtung gebietend/achtunggebietend<br />

Aufsehen erregend/aufsehenerregend<br />

Besorgnis erregend/besorgniserregend<br />

Ehrfurcht gebietend/ehrfurchtgebietend<br />

Ekel erregend/ekelerregend<br />

Epoche machend/epochemachend<br />

Erfolg versprechend/erfolgversprechend<br />

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