REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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schreibung, wenn ein neuer Begriff entsteht“, z. B. klarwerden: ihm ist sein<br />
Irrtum klargeworden. Der Wein wird klar gemacht, das Schiff und der Irrtum<br />
werden klargemacht. Aber wenn ich nun die Klarheit der berühmten Kloßbrühe<br />
gar nicht als die ursprüngliche Klarheit betrachte, sondern gerade umgekehrt die<br />
Klarheit des Gedankens?<br />
Um diesem Unsinn einen Reiz abzugewinnen, müßte man ein Ionesco sein. Das<br />
Rechtschreibwörterbuch aber hat den Usus zu be<strong>schreiben</strong>. Was es den beobachtbaren<br />
Tatsachen an Begründungen, Erklärungen, ja auch nur an Regeln, d. h.<br />
verallgemeinerten Beschreibungen hinzufügt, ist Theorie und kann falsch sein.<br />
Damit wird es unbeachtlich. Denn falsche Theorien kann nicht einmal eine<br />
Kultusministerkonferenz verbindlich machen. (Aus diesen Überlegungen geht<br />
nebenbei auch hervor, daß das Wörterverzeichnis und nicht das Regelwerk der<br />
Kern der Orthographie ist und daß es eine Zumutung war, der Öffentlichkeit<br />
jahrelang nur ein neues Regelwerk ohne Wörterbuch zu präsentieren.)<br />
Ein Gedanke kann ebenso wie die Brühe klar sein und klar werden und<br />
selbstverständlich auch klar gemacht werden. Das alles ist grammatisch einwandfrei.<br />
Es gibt allerdings im Deutschen ein kleines Unterprogramm, wonach<br />
Resultativzusätze, wenn sie nicht zu umfangreich sind, mit Verben zusammengeschrieben<br />
werden können: kaputtschlagen, blaureiben, gesundrationalisieren,<br />
kaltmachen und natürlich auch klarmachen. Mit „urspr. Sinn“ und neuem Begriff<br />
hat das überhaupt nichts zu tun.<br />
Wenn man den Duden liest, könnte man tatsächlich meinen, radfahren müsse im<br />
Gegensatz zu Auto fahren zusammengeschrieben werden. Die Theorie steht in R<br />
207: „Man schreibt ein Substantiv mit einem Verb zusammen, wenn das<br />
Substantiv verblaßt ist und die Vorstellung der Tätigkeit überwiegt.“ Unsere<br />
modernen Linguisten haben sich über das „Verblassen“ der Substantive mokiert,<br />
wohl kaum mit Recht. (Als kürzlich der schöne Begriff „bleaching“ über den<br />
großen Teich zu uns kam, wurde er von denselben Linguisten freudig begrüßt ...)<br />
Bei radfahren also herrscht tatsächlich die Vorstellung der Tätigkeit vor, weshalb<br />
auch schon zu Beginn des Jahrhunderts das Verb radeln im Duden stand,<br />
während die Autofahrer es bis heute nicht zu einer ähnlich gemütvollen Bezeichnung<br />
ihrer Fortbewegungsart gebracht haben. Wie dem auch sei – ganz<br />
falsch wäre jedenfalls die Folgerung, man dürfe radfahren gar nicht getrennt<br />
<strong>schreiben</strong>. Man kann Auto fahren, Traktor fahren, Roller, Dreirad und Fahrrad<br />
fahren und selbstverständlich auch Rad fahren. Die Bezeichnung eines<br />
geeigneten Fahrzeugs zusammen mit fahren ergibt immer eine grammatisch<br />
zulässige Verbindung. Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie<br />
nicht verbieten. Das ist der Kernsatz einer richtigen Dudenexegese. Nur als<br />
besondere Lizenz gibt es auch radfahren. Damit ist den Reformern, wie man<br />
sieht, schon ziemlich viel Wind aus den Segeln genommen.<br />
Einmal aufmerksam geworden, entdeckt man, daß fast alle Dudenregeln Kann-<br />
Bestimmungen sind, Spielräume eröffnen. Sogar unsere Regel 207 läßt Rad<br />
fahren zu. Möge immerhin das „verblaßte“ Substantiv mit dem Verb zusammengeschrieben<br />
werden – das unverblaßte bleibt davon unberührt. Es braucht auch<br />
nicht eigens im Wörterbuch zu stehen. Traktor fahren steht ja auch nicht drin.