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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Auf die verblüffende Ähnlichkeit der empfehlenden Vokabeln („behutsam“, „kleine<br />

Reform“ [zweimal]) wurde bereits hingewiesen.<br />

Das Totschweigen der Rustschen Reform hat Tradition. Leo Weisgerber, Wortführer<br />

der Reformer in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik, verspricht im Titel<br />

seines Buches von 1964 zwar, 60 Jahre Bemühungen um eine Rechtschreibreform<br />

darzustellen, spart aber die 12 Jahre aus, in denen er u. a. als<br />

„Ahnenerbe“-Wissenschaftler tätig war. Die Dokumentation von Burckhard Garbe<br />

„Die deutsche rechtschreibung und ihre reform 1722-1974“ (Tübingen 1978) weiß –<br />

auch in der Bibliographie – nichts von Rahn und Rust, sondern springt von 1931 gleich<br />

ins Jahr 1952. Ebenso hielt es Hermann Zabel in seinem Pamphlet „Widerworte“, das<br />

der Verlag 1997 an die Bundestagsabgeordneten verteilen ließ. Darin heißt es: „Im<br />

Oktober 1933 verschiebt das Reichsministerium des Inneren die Einberufung einer<br />

Rechtschreibtagung“, und dann geht es gleich weiter mit dem Jahr 1946. An einer<br />

anderen Stelle schreibt Zabel: „Das neue Regelwerk steht in der Tradition der<br />

Amtlichen Regelwerke von 1876, 1880 und 1901. Insofern war ein völliger Neuansatz<br />

weder möglich noch erforderlich.“ (S. 161) Der Leser muß den Eindruck gewinnen,<br />

daß während des Dritten Reiches in Sachen Rechtschreibreform rein gar nichts<br />

unternommen wurde. Als jedoch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung auf<br />

ihrer Herbsttagung 2000 das von ihr herausgegebene Buch von Birken-Bertsch und<br />

Markner vorstellte, in dem die Rustsche Reform zum erstenmal genauer untersucht<br />

wurde, verkündete der eigens angereiste Zabel sehr lautstark, dies sei „eine<br />

Geschichtsklitterung in bisher unbekanntem Ausmaß“. Das Thema ist den Reformern<br />

und Reformierten so unangenehm, daß es beispielsweise im „Spiegel“, wie die<br />

Redaktion bestätigt, nicht besprochen werden durfte.<br />

Im Jahre 2000 bietet der Dudenverlag auf seiner Internetseite eine Geschichte der<br />

Reformbemühungen. Vom Jahr 1915 geht es in einem großen Sprung gleich in die<br />

Nachkriegszeit ab 1945.<br />

Im Zusammenhang mit Rust ist noch eine kuriose Episode zu erwähnen: Der<br />

Bearbeiter der außerordentlich fehlerhaften „Neuen deutschen Rechtschreibung“ von<br />

Bertelsmann, Lutz Götze, schrieb in der Einleitung (1996, S. 20):<br />

„Nach der Machtergreifung der Nazis war 1933 erst einmal Schluss mit<br />

Überlegungen zur Reform der deutschen Rechtschreibung; das amtliche Regelwerk<br />

von 1901/02 wurde bis in die vierziger Jahre unverändert aufgelegt, doch ist<br />

heute bekannt, dass Nazi-Reichsminister Bernhard Rust noch 1944 eine<br />

,Neuordnung der Rechtschreibung‘ auf den Markt bringen wollte, die eine<br />

Schreibung vorsah, ,die klar, schlicht und stark ist‘. Das Kriegsende verhinderte<br />

diesen Plan zum Glück.“<br />

Da der uneingeweihte Leser nicht darüber aufgeklärt wird, welche Veränderungen die<br />

Rustsche Reform vorsah, weiß er auch nicht, warum es ein „Glück“ gewesen sein soll,<br />

daß sie nicht verwirklicht wurde. Götze selbst hat es offenbar auch nicht gewußt. Von<br />

der Kritik darüber aufgeklärt, daß die Rustsche Reform mit der heutigen weitgehend<br />

übereinstimmte und bei der Fremdworteindeutschung Götzes eigenen Ansichten sogar<br />

noch weiter entgegenkam, strich er den ganzen Abschnitt im nächsten Nachdruck und<br />

springt nun vom Kosogschen Diktat 1912 kurzerhand ins Jahr 1947. Ungefähr eine<br />

Million Bertelsmann-Käufer weiß nichts von diesem Rückzieher. Sonderbar ist, daß<br />

sogar der Reformer Nerius, damals noch SED-Parteigenosse, das Dritte Reich nicht<br />

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