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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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zutreffende Vorstellung.<br />

Hiltraud Strunk, eine Schülerin des Reformers Gerhard Augst, kommentiert den<br />

geheimnistuerischen Charakter einer Pressemitteilung beim Reformversuch von 1956<br />

so:<br />

„Der Verzicht auf jegliche inhaltliche Information war nach den bisherigen Erfahrungen<br />

sicher richtig.“ 31<br />

Diese Lehre haben die Reformer selbstverständlich ebensowenig vergessen wie jene<br />

andere, daß es ohne ein Bündnis mit der Staatsmacht nicht geht. Beides zusammen<br />

führte zu der seither befolgten Strategie: Einsatz der staatlichen Zwangsmittel für eine<br />

„Überrumpelungsaktion“ (Munske).<br />

Schon nach dem Scheitern der I. Orthographischen Konferenz von 1876 zog man es<br />

vor, „aufgrund der exorbitanten öffentlichen Diskussion (...) eher in den Behörden und<br />

unter Ausschluß der Öffentlichkeit (zu) entscheiden.“ 32 Und die Mannheimer<br />

„Kommission für Rechtschreibfragen“ war laut eigenem Bekenntnis vom Jahre 1985<br />

„insgesamt im Sinne einer aktiv-systematischen Öffentlichkeitsarbeit eher<br />

zurückhaltend, um nicht durch dauernde Zwischenberichte den Eindruck zu erwecken,<br />

daß jeweils morgen eine Reform durchgeführt werde.“ 33<br />

Der Vorwurf an die Kritiker, sie hätten sich zu spät gerührt, muß auch im Lichte einer<br />

Tatsache gesehen werden, auf die Hermann Scheuringer (ein Reformbefürworter)<br />

hinweist. Im Februar 1996 schrieb er:<br />

„Eine endgültige Fassung der neuen Rechtschreibung inkl. Wörterverzeichnis,<br />

wie sie ‚mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‘ bis zum Sommer 1996<br />

von Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Ministerebene ratifiziert und ab<br />

1. August 1998 in Kraft gesetzt werden wird, liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />

nicht vor.“ 34<br />

Als im Herbst 1995 einige Politiker, darunter der bayerische Kultusminister Zehetmair<br />

und Ministerpräsident Stoiber, ihr Mißfallen an dem beschlossenen Regelwerk<br />

bekundeten, mußten sie sich von dem Journalisten Hermann Unterstöger fragen lassen<br />

„Auch schon wach?“ Unterstöger schrieb u.a.:<br />

„Was haben die Herrschaften eigentlich getrieben all die Jahre, während derer die<br />

Rechtschreibreform mit einem öffentlichen Echo sondergleichen ins Werk gesetzt<br />

wurde? (...) Vor sieben Jahren, im September 1988, wurde der Reformvorschlag<br />

präsentiert, 236 Seiten dick und 700 Gramm schwer schwer – doch weit und breit<br />

kein Stoiber, der sich damals unserer Befindlichkeit angenommen hätte.“ 35<br />

In Wirklichkeit war der Entwurf von 1988 ein ganz anderer als der von 1995, und daß<br />

„die“ Rechtschreibreform all die Jahre über „ins Werk gesetzt“ worden sei, ist auch<br />

reichlich unbestimmt ausgedrückt. Eine Handvoll Reformwilliger bastelte eben seit<br />

Jahrzehnten an Reformplänen, aber es gab keinen dringenden Grund für Außenstehende,<br />

sich darum zu kümmern.<br />

31 Strunk 1992, S. 313.<br />

32 Scheuringer 1996, S. 79.<br />

33 Die Rechtschreibung des Deutschen und ihre Neuregelung. Hg. v. d. Kommission für<br />

Rechtschreibfragen. Düsseldorf 1985, S. 47.<br />

34 Scheuringer 1996, S. 131.<br />

35 SZ 28.10.1995.<br />

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