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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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„Zur Laut-Buchstaben-Zuordnung“<br />

Die Aussage, die Neuregelung habe einige Ausnahmeschreibungen „korrigiert“, läßt<br />

eine seltsame Auffassung von Sprache und Schrift erkennen. Geltende Konventionen<br />

„korrigiert“ man nicht, und Känguru ist nicht „korrekter“ als Känguruh.<br />

Die Kommission behauptet, „wichtige Einwände bzw. Anfragen“ hätten darauf gezielt,<br />

auch bei Drittel, Mittag und dennoch konsequenterweise drei gleiche Konsonantenbuchstaben<br />

zu <strong>schreiben</strong>. In der öffentlichen Diskussion ist mir dieses Argument nie<br />

begegnet, so daß ich die Behandlung dieser Frage eher als Ablenkung von der viel<br />

wichtigeren Problematik der Dreifachschreibung überhaupt ansehen möchte. Auf die<br />

Bedenken, die gegen die außerordentliche Vermehrung von Dreifachschreibungen<br />

geäußert worden sind (helllicht usw., mit Bindestrich nach § 45 Flächenstill-Legung<br />

usw.; vgl. meinen „Kritischen Kommentar“), geht die Kommission leider nicht ein.<br />

Auch die Kritik an der laut Neuregelung einzig zulässigen Schreibweise Tollpatsch<br />

richtet sich nicht gegen die Kennzeichnung des Kurzvokals, sondern gegen die konzessionslose<br />

Verordnung volksetymologischer Schreibungen. Auch im Bericht<br />

dekretieren die Reformer schlicht, „der heutige Sprachteilnehmer“ stelle Tollpatsch zu<br />

toll. Selbst wenn den meisten Menschen die ins Ungarische weisende korrekte<br />

Etymologie nicht bekannt sein dürfte, brauchen sie nicht an toll zu denken; viele<br />

dürften sich gar nichts dabei denken, sondern das Wort einfach hinnehmen. Es sei auch<br />

noch einmal auf die Randständigkeit dieses und anderer von der Reform erfaßter<br />

Wörter hingewiesen; man kann doch die Schreibung von Tolpatsch nicht im Ernst für<br />

eine schulrelevante Fehlerquelle halten!<br />

nummerieren steht nur dann „im Einklang mit der Grundregel“, wenn man von<br />

Nummer ausgeht und darauf das Stammprinzip anwendet. Gerade dies wird aber von<br />

der Kritik angefochten. Wiederum behaupten die Reformer ohne Beweis, nummerieren<br />

werde „vom weitaus größten Teil der heutigen Sprachteilhaber zu Nummer gestellt“.<br />

Woher wissen sie das? Und warum muß man auch alle anderen Sprachteilhaber, die<br />

das Wort lieber wie Numerus, numerisch usw. <strong>schreiben</strong> möchten, zur „neumotivierten“<br />

Schreibweise zwingen? Wahrscheinlich handelt es sich bei der obligatorischen<br />

Neuschreibung um eine Spielmarke für die Verhandlungen bei der geplanten Anhörung;<br />

danach wird dann freigegeben wie bei den anderen umstrittenen Fällen. Aus<br />

unerfindlichen Gründen geben die Reformer bei Tollpatsch, einbläuen, belämmert und<br />

Quäntchen schon jetzt nach, nicht aber bei den historisierenden Schreibungen behände,<br />

Stängel, Gämse. Stets behaupten sie ohne jeden Beweis, genau zu wissen, woran die<br />

heutigen Sprecher bei den einzelnen Wörtern denken oder nicht denken. In<br />

Wirklichkeit läßt sich belegen, daß viele Sprecher zum Beispiel bei behende<br />

keineswegs an die Hände denken: Behende klettern sie (die Ziegen!) gleich<br />

gruppenweise in den Baumkronen herum (F.A.Z. 13.6.1996). 116 Die Reformer geben<br />

nun zu, daß der etymologische Zusammenhang hier „nicht mehr immer als zwingend<br />

empfunden“ wird. Gleichwohl behaupten sie, die historisierende Schreibung bringe<br />

„durch die Angleichung an die Stammschreibung Vereinfachung“. Das ist eine Petitio<br />

principii, denn nur soweit der Zusammenhang noch empfunden wird, kann ja<br />

überhaupt von Stammschreibung die Rede sein. Sonst hat die Grundregel § 13 Vorrang,<br />

wonach kurzes [E] als e wiederzugeben ist; behende ist also zunächst einmal –<br />

116 Stefan George schrieb: Die grauen Wolken sammeln sich behende. – Soll das in<br />

deutschen Lesebüchern wirklich in behände abgeändert werden und damit völlig falsche<br />

Vorstellungen wecken?<br />

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