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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Überhaupt prägt das Lesen die Rechtschreibgepflogenheiten einer Gesellschaft viel<br />

stärker als der Regeldrill im Unterricht. Das wußte z. B. Wilmanns (1880, a.a.O. S.<br />

111), während unsere modernen Reformer fast nie vom Lesen sprechen.<br />

Löwer geht geflissentlich über die anerkannt katastrophale neue Getrennt- und Zusammenschreibung<br />

hinweg, die im Dezember 1997 selbst von der Rechtschreibkommission<br />

zum Abschuß freigegeben wurde. Statt dessen hebt er immer wieder auf<br />

gelegentlich vorgekommene falsche Beispiele ab, als seien sie typisch für die<br />

Reformkritik. Mit keinem Wort geht Löwer auf Horst H. Munskes fulminanten Beitrag<br />

in der ihm durchaus bekannten Textsammlung Eroms/Munske (Hg.) 1997 ein. Munske<br />

und Eisenberg eignen sich inzwischen sehr wohl als „Kronzeugen“ der Reformkritik.<br />

Löwer behauptet schlicht:<br />

„Für die These von der vollständigen Verfehltheit der Reform stehen im öffentlichen<br />

Diskurs nur wenige Namen (Werner H. Veith, Theodor Ickler, Friedrich<br />

Denk).“<br />

Das ist wirklich zuviel der Ehre. Mit der Nennung unserer Namen ist es aber auch<br />

nicht getan. Die Argumente, die von den Genannten (und vielen anderen) vorgetragen<br />

worden sind, wollen beantwortet sein.<br />

Was die Abweichungen zwischen den neuen Wörterbüchern betrifft, so sollte sich<br />

Löwer lieber nicht auf die vom IDS verbreitete Untersuchung von Güthert/Heller<br />

berufen, vgl. meine Entlarvung dieses Täuschungsversuchs in „Propaganda und<br />

Wirklichkeit“. Auch Peter Eisenberg hat sich inzwischen öffentlich von Augsts diesbezüglicher<br />

Erklärung distanziert („Sprachreport“ 1/98). 147 Wie die Varianten<br />

einerseits, die Abweichungen bei der „Umsetzung“ der Reform andererseits zu<br />

beurteilen sind, habe ich in meinen Büchern und Aufsätzen dargelegt und brauche<br />

daher hier auf den vergeblichen Versuch einer Verharmlosung der Reformmängel nicht<br />

einzugehen. Sonderbar mutet die Erwägung Löwers an, ob es nicht besser gewesen<br />

wäre, nur ein Regelwerk ohne Wörterverzeichnis herauszugeben und die Umsetzung<br />

dem Wörterbuchmarkt zu überlassen. Wer sich mit der Materie besser auskennt und<br />

auch das grundsätzliche Verhältnis von Regelwerk und Wörterverzeichnis zu beurteilen<br />

vermag, wird diese Idee – vorsichtig gesagt – abenteuerlich finden. Das sehen übrigens<br />

auch die Wörterbuchmacher so, die zum Beispiel während der Mannheimer Anhörung<br />

am 23. Januar 1998 dringend ein umfangreicheres amtliches Wörterverzeichnis<br />

anmahnten.<br />

Im übrigen trifft es nicht zu, daß die Reform die Regeln „liberalisiert“. Für eine große<br />

Zahl von neuen Regeln und Einzelwortschreibungen liegt das Gegenteil auf der Hand.<br />

Es ist keineswegs liberal, die herkömmliche Schreibung sogenannt, jedesmal,<br />

auseinandersetzen, leid tun, weh tun usw. für nunmehr falsch zu erklären und allein<br />

die Schreibung so genannt, jedes Mal, auseinander setzen, Leid tun und wehtun für<br />

richtig. Es ist weder liberal noch eine Erleichterung, Corned beef, von seiten usw. zu<br />

verbieten und dafür jeweils zwei neue Schreibungen (Cornedbeef oder Corned Beef,<br />

vonseiten oder von Seiten) als allein zulässig anzubieten. Warum in aller Welt soll die<br />

bisher übliche Platitüde plötzlich unzulässig und nur die Wahl zwischen Platitude und<br />

der makkaronisch integrierten Hauptvariante (!) Plattitüde erlaubt sein – während<br />

Attitüde, Etüde usw. unverändert gültig bleiben? Die etymologisierenden und<br />

volksetymologischen Neuschreibungen (ein Steckenpferd des Reformers Augst, seit 20<br />

147 Vgl. auch Hans Krieger: Rechtschreib-Schwindel. Sankt Goar 1998. (2. Aufl. 2000)<br />

175

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