REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Dutzend Stämmen) durchgeführten Neuschreibungen als neue Regel verkleidet<br />
auftreten. Derselbe Einwand gilt für die sprachgeschichtlich „richtigen“, aber ohne<br />
Notwendigkeit wiederbelebten etymologischen Beziehungen etwa im Falle von<br />
Stängel oder behände. Handelte es sich wirklich um eine produktive Regel, so könnte<br />
niemand daran gehindert werden, in Zukunft Spängler zu <strong>schreiben</strong> (wegen Spange),<br />
denn diese Schreibweise genügt § 13 („Für kurzes [e] schreibt man ä statt e, wenn es<br />
eine Grundform mit a gibt.“). Natürlich gehen die Reformer auch nicht auf die Frage<br />
ein, wie der undefinierte Begriff der „Grundform“ zu verstehen sei und warum es –<br />
gerade für den vielbeschworenen „normalen Sprachteilhaber“ – nicht zulässig sein<br />
sollte, märken (wegen Marke), sätzen (wegen Satz), käntern (wegen Kante) usw. zu<br />
<strong>schreiben</strong>.<br />
Die Erwägung, wie „die normalen Sprachteilhaber heute die Wörter zu Wortfamilien<br />
zusammenstellen“, führt grundsätzlich ins Uferlose, da man solche Verknüpfungen<br />
kaum durch Umfragen ermitteln und dann die Rechtschreibung nach den jeweiligen<br />
Mehrheitsverhältnissen einrichten kann. Es gab und gibt keinen Handlungsbedarf, die<br />
Schreibweise einiger weniger, noch dazu äußerst selten geschriebener Wörter wie<br />
behende oder Zierat abzuändern.<br />
„Die Etymologie als sprachlich und kulturell spannendes Phänomen verkommt<br />
zur Bildungsdemonstration, wenn sie dazu herhalten muss, Ausnahmen in der<br />
Rechtschreibung zu legitimieren.“<br />
Dasselbe läßt sich aber sagen, wenn sie dazu herhalten muß, tote Zusammenhänge<br />
künstlich wiederzubeleben wie bei behände, Stängel oder Wechte.<br />
Von den „drei Buchstaben an der Wortfuge“ hat besonders Augst viel Aufhebens gemacht.<br />
Die 10 Regeln, die er dazu im Duden gefunden haben will, beruhen auf<br />
Zählkunststücken, denen man nicht folgen muß. Hielte man sich nach diesem Vorbild<br />
bei der Untersuchung des gesamten neuen Regelwerks nicht an die offene<br />
Numerierung, sondern an die tatsächlich darin versteckten Regeln, so käme man auf<br />
mehr als tausend. Das ist weitgehend eine bloße Frage der Darbietungsform. Da, wie<br />
A&S selbst vermerken, „nur wenige Wörter mit drei gleichen Buchstaben“ vorkommen,<br />
weiß man nicht, warum sich die Autoren so sehr über die große Zahl der darauf<br />
bezüglichen Dudenregeln ereifern. Regeln, die praktisch keinen nennenswerten<br />
Anwendungsbereich haben, könnte man doch auf sich beruhen bzw. eine<br />
Angelegenheit des Druckgewerbes bleiben lassen. Der Duden sorgt eben, da er nicht<br />
nur die Schule im Blick hat, für alles vor; die Auswahl ist Sache der Pädagogen. In der<br />
Praxis genügt es bekanntlich, sich das Beispiel Schiffahrt/Sauerstoffflasche zu merken.<br />
Kein <strong>vernünftig</strong>er Lehrer verlangt von seinen Schülern mehr.<br />
Da sich an der Fremdwortschreibung entgegen den ursprünglichen Plänen kaum etwas<br />
ändert, braucht hier nicht tiefer darauf eingegangen zu werden. Die langatmige<br />
Beweisführung, daß schon immer Eindeutschungen stattfanden, ist überflüssig;<br />
niemand hat es bezweifelt. Zu kritisieren bleibt die Willkür, mit der die Integration<br />
fremder Bestandteile vorgenommen und einmal die fremde, einmal die eingedeutschte<br />
Form als Hauptvariante vorgeschlagen wird. A&S gehen darauf nicht ein. Statt, wie sie<br />
es zu tun behaupten, der tatsächlichen Sprachentwicklung zu folgen, erfinden die<br />
Reformer Neuschreibungen, die noch nie jemand gebraucht hat, z. B. Tunfisch,<br />
Spagetti, passee. Abbé und Attaché hingegen lassen sie unverändert, obwohl nun<br />
Abbee, Attachee geschrieben werden sollte (wie Lamee). – Willkür, wohin man blickt!<br />
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