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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Wörterbüchern vorgeführt werden. Man erinnere sich: Im Jahre 1996 prangerte der<br />

Reformer und Bertelsmannautor Hermann Zabel den reformierten Duden gerade<br />

deshalb an, weil er nicht alle neuerdings möglichen Wortrennungen anführte. Wenig<br />

später mahnte der Geschäftsführer der Kommission, Klaus Heller (ebenfalls<br />

Bertelsmannautor), Trennungen wie Hämog-lobin an, was zufällig im Bertelsmann,<br />

aber nicht im Duden verzeichnet war. Die Neubearbeitung des Bertelsmann enthält<br />

diese und andere Absurditäten nicht mehr. Auch die Trennung vol-lenden ist aus den<br />

neuesten Wörterbüchern verschwunden, obwohl sie ausdrücklich im amtlichen<br />

Regelwerk (§ 112) vorgeschlagen wird. Um so rührender die Anhänglichkeit an<br />

Trennungen wie Res-triktion und Rest-riktion, nach denen nun wirklich im Zeitalter<br />

der automatischen Silbentrennung niemand gerufen hat. Der Bericht erwähnt Elemente<br />

wie das griechische -klast; sie sollen bei der Worttrennung erhalten bleiben – was<br />

immerhin eine bemerkenswerte Bildung bei Ratsuchenden voraussetzt, denen<br />

andererseits nicht zugetraut wird, einander oder herab morphologisch korrekt zu<br />

trennen. Man kann auch lange nachdenken über den Sinn von Trennungen, die<br />

„prinzipiell möglich“, aber so abwegig sind, daß sie nicht in die Wörterbücher<br />

aufgenommen werden sollten. Was ist das für eine Rechtschreibregelung, die vor ihren<br />

eigenen Konsequenzen zurückschreckt?<br />

Die Ankündigung, man wolle überall auf „progressive“ Schreibweisen hinwirken, ist<br />

wohl ernst zu nehmen. Der Bericht selbst verwendet zum Beispiel die hybride Nebenvariante<br />

Orthografie, gegen die sich einzelne Kommissionsmitglieder entschieden<br />

verwahrt haben.<br />

Der Bericht geht auch kurz auf die Neuschreibung der Nachrichtenagenturen ein,<br />

verschweigt aber die erheblichen Abweichungen dieser gemeinsamen Hausorthographie<br />

von der amtlichen Regelung. Der Sachverhalt, der die Kommission sehr<br />

verärgert hat, läßt sich nur indirekt erschließen, wenn über die Hausorthographie der<br />

„Zeit“ gesagt wird, sie gehe einen Mittelweg zwischen amtlicher Regelung und<br />

Agenturschreibung. Die Wiederkehr der Hausorthographien, im vorigen Jahrhundert<br />

das Hauptmotiv der Einigungsbemühungen, stellt der Neuregelung ein vernichtendes<br />

Zeugnis aus.<br />

Abschließend wird vage in Aussicht gestellt, daß die Kommission weiter an den<br />

seinerzeit abgelehnten Korrekturen arbeitet und nach der Übergangszeit, also im Jahre<br />

2005, eine neue Chance zu „Optimierung der Neuregelung“ zu bekommen hofft. Daß<br />

eine Reform der Reform bevorsteht, verrät auch der dreimalige Gebrauch des Wortes<br />

„zunächst“ auf der ersten Seite. Von dem Beirat, der die Arbeit der Kommission<br />

begleiten soll, ist gar nicht die Rede, folglich auch nicht von der bemerkenswerten<br />

Tatsache, daß dieser Beirat nur von Deutschland getragen wird und die<br />

Renationalisierung der Orthographie damit bereits begonnen hat.<br />

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß die Rechtschreibreform das Jahr 2005<br />

nicht erleben wird. Nachrichtenagenturen und Zeitungen arbeiten am weiteren<br />

Rückbau, so daß sich die Frage stellt, wie lange die deutschen Schulen noch auf ihrer<br />

orthographischen Insel ausharren können, ohne ihrem Bildungsauftrag in nicht mehr<br />

verantwortbarer Weise zuwiderzuhandeln.<br />

Obwohl es offiziell nie zugegeben wurde, arbeitete die Kommission weiter an den<br />

vorgeschlagenen Änderungen. Da sie den Regeltext nicht antasten durfte, ohne das<br />

ganze Reformprojekt zu gefährden, wies sie die beiden Wörterbuchredaktionen an, die<br />

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