REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Die Je-su-i-ten haben eine zusätzliche Trennstelle bekommen, die In-tui-ti-on nicht.<br />
Das ist die totale Willkür, die nur ein einziges Ergebnis haben kann und wohl auch<br />
haben soll: „Den Duden braucht jeder.“<br />
Noch leichtfertiger ist die unorganische Trennung deutscher Wörter: Das Wörterbuch<br />
empfiehlt ei-nander, hi-nauf, he-runter, vo-rüber usw., kanonisiert also einen<br />
primitiven Anfängerfehler. Damit schließt es sich der abwegigen Meinung der<br />
Reformer an, daß die Deutschen, nur weil sie manche Zusammensetzungen gebunden<br />
sprechen, außerstande seien, deren Bestandteile zu erkennen. Dieselben Sprecher,<br />
denen der Rechtschreibduden die Trennung Son-nabend zutrauen zu müssen glaubte,<br />
sollen aber zwecks Großschreibung nicht nur die Wortarten in fremden Sprachen<br />
beherrschen (Corpus Delicti usw.), sondern – bei allen genannten Torheiten –<br />
grundsätzlich die Muta-cum-liquida-Regel für Fremdwörter beherrschen, so daß sie<br />
anders als der Rechtschreibduden wieder Pu-blikum usw. trennen. Welcher Journalist<br />
fühlt sich nicht auf den Arm genommen, wenn man ihm die Trennung vo-raus<br />
zumutet? Während durch die verordnete Großschreibung von Acht geben eine ziemlich<br />
obsolete Acht künstlich reanimiert wird, sollen Obacht und beobachten völlig<br />
undurchschaubar sein, so daß der Praxisduden die Trennung beo-bachten empfiehlt<br />
und Obacht für gänzlich untrennbar erklärt. Komischerweise überträgt sich diese<br />
Trennungsscheu auch auf obligat und alle seine Verwandten, während bei Obliteration,<br />
observieren usw. die erste Silbe sehr wohl abgetrennt wird – warum auch<br />
nicht?<br />
Dieses ganze Durcheinander soll Standard der deutschen Presse werden, obwohl kein<br />
erwachsener Mensch und erst recht kein Computer mit der Silbentrennung die<br />
geringsten Schwierigkeiten hatte – abgesehen von jenen Lach-stürmen bzw. Lachstürmen,<br />
die aus naheliegenden Gründen für längere Zeit schwer programmierbar<br />
bleiben werden.<br />
Die Verfasser berufen sich bei ihren Entscheidungen auf die legendäre Dudenkartei.<br />
Seltsamerweise scheint darin das Wort selbständig nicht vorzukommen, obwohl es<br />
doch zum Beispiel im Jahrgang 1996 der F.A.Z. nicht weniger als 1341mal belegt ist.<br />
Duden kennt nur noch selbstständig, was keine andere Schreibweise, sondern ein<br />
anderes, jüngeres Wort ist und folglich die Orthographiereformer gar nichts angeht.<br />
Handvoll und ähnliche Zusammensetzungen, die seit Jahrhunderten im Deutschen<br />
heimisch und in den Dialekten gemütvoll verkürzt sind (Hämpfele, vgl. auch Arfel =<br />
Armvoll), werden von der Neuregelung aus dem Verkehr gezogen, ebenso jedesmal<br />
und viele andere. Der Duden schließt sich diesen Machtsprüchen der KMK klaglos an<br />
– Kartei hin, Kartei her.<br />
Die „Freigabe“ des Kommas vor Infinitivsätzen – ein Prunkstück der Reform und oft<br />
angeführter Beweis ihrer „Liberalität“ – wird vollständig zurückgenommen.<br />
Gerhard Augst: Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache.<br />
Tübingen 1998<br />
(Die Besprechung dieses Buches wird hier eingerückt, weil es den Hintergrund der<br />
Augstschen Volksetymologien erhellt, weil es den heimlichen Rückbau der Reform<br />
nach der Mannheimer Anhörung dokumentiert und schließlich auch, weil es den<br />
Sprachwissenschaftler Augst ins rechte Licht zieht. Eine ausführlichere Fassung<br />
erschien in „Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik“ 66, 1999, S. 296-307.)<br />
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