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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Die Agenturen und die Zeitungen sind in keiner Weise gehalten, die von den<br />

Kultusministern – wie sich gezeigt hat – voreilig beschlossenen, unausgereiften<br />

Schulschreibregeln zu befolgen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich bestätigt,<br />

daß die Minister diese Regelung auf dem gewählten Wege in die Schulen einführen<br />

durften, mehr nicht. Übrigens enthält das Urteil von Karlsruhe eine bemerkenswert<br />

skeptische Akzeptanzprognose! Die Agenturen verhalten sich also keineswegs neutral,<br />

wenn sie umstellen, sondern machen sich zu Handlangern einer winzigen Gruppe von<br />

Reformeiferern, denen es gelungen ist, ein paar Politiker rechtzeitig in eine erkennbar<br />

verfehlte Unternehmung zu verwickeln, aus der sie nun nicht mehr ohne<br />

Gesichtsverlust herausfinden.<br />

Die Neuregelung wird in der gegenwärtig vorliegenden Form keinesfalls die<br />

Orthographie der Zukunft sein. Der weitreichende Revisionsvorschlag der<br />

Kommission (d. h. im wesentlichen der Reformer selbst) vom Dezember 1997 ist nur<br />

mit Rücksicht auf die Schul- und Wörterbuchverleger aufgeschoben worden und wird<br />

zweifellos nach einer „Schamfrist“ (P. Eisenberg) verwirklicht werden. Damit rechnet<br />

auch der führende Reformer Augst. Er hat kürzlich ein umfangreiches<br />

„Wortfamilienwörterbuch“ (Tübingen 1998) veröffentlicht, in dem er die Neuregelung<br />

zuzüglich der von der Kommission vorgeschlagenen, von den Kultusministern<br />

aber untersagten Revision praktiziert. Gerade das, was die Agenturen an Änderungen<br />

übernehmen wollen (Fleisch fressend usw.), wird von Augst bereits rückgängig<br />

gemacht! Sachkundige wissen, daß dem noch weitere Revisionen folgen werden. Das<br />

hat auch Bundesinnenminister Schily angedeutet (BT-Drucksache 14/356).<br />

Erst im Jahre 2005 wird einigermaßen klar sein, was von der Reform überhaupt<br />

übrigbleibt. Es ist nicht einzusehen, warum die Agenturen nicht so lange warten<br />

können, statt sich mit voreiligen, zum Teil jetzt schon als fehlerhaft erkennbaren<br />

Änderungen im Sinne einer bloßen Übergangsschreibung als besonders willfährig zu<br />

erweisen.<br />

Die wichtigsten Abweichungen der Agenturschreibung von der amtlichen Neuregelung<br />

sind die Großschreibung fester Begriffe einschließlich der Zugehörigkeitsadjektive<br />

(Ohmsches Gesetz), die Großschreibung der Briefanrede und die Beibehaltung der<br />

bisherigen Kommasetzung. Am Ende des Papiers findet man folgenden Nachtrag:<br />

„Hinweis: Nach der Veröffentlichung des Grundsatzbeschlusses der Agenturen<br />

vom 16.12.1998 haben zahlreiche Medienkunden nach einer beispielgebenden<br />

Liste gefragt. Mehrheitlich wollen die Agenturen diesem Kundenwunsch folgen<br />

und halten von Anfang Februar 1999 an eine entsprechende Liste bereit.<br />

Hamburg, 14.1.1999“<br />

Die angekündigte Liste stellt etwa 500 Wörter in alter und neuer Rechtschreibung<br />

einander gegenüber. Sie beweist, daß die Agenturen geglaubt haben, ohne fachliche<br />

Beratung auszukommen. Man findet darin Neuschreibungen wie Schuld bewusst,<br />

Französisch zusammenfassen, selbst bewusst, wieder sehen, zusammen gehen und<br />

ähnliche Mißgriffe.<br />

Die Zeitungen<br />

Ein besonderes Beispiel vorauseilenden Gehorsams lieferte die „Woche“, als sie<br />

bereits Ende Dezember 1996 auf eine neue Hausorthographie umstellte. Seither befand<br />

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