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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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erklärt es für „zweifellos legitim, nahezu 100 Jahre nach der Festlegung der<br />

einheitlichen deutschen Orthographie zu prüfen, ob diese Norm den Funktionen und<br />

Anforderungen der schriftlichen Kommunikation noch im erforderlichen Maße gerecht<br />

wird.“ 7 Peter Eisenberg hingegen stellt den „sehr einfachen und übersichtlichen<br />

Regelungen von 1901“ das „mehrschichtige, begrifflich inkonsistente Durcheinander“ 8<br />

gegenüber, das „durch vielfaches kleinschrittiges Überarbeiten“ seither daraus entstanden<br />

sei. (Die beliebte Rede vom „Regelwust“ des Duden relativiert sich übrigens<br />

erheblich, wenn man die sowohl umfangreichere als auch wesentlich kompliziertere<br />

Neuregelung dagegenhält. Die Dudenrichtlinien sind bei aller Differenziertheit bewußt<br />

volkstümlich gehalten und lesen sich im Vergleich geradezu angenehm, auch wenn der<br />

Linguist – für den sie nicht geschrieben sind – eine gewisse Präzision vermissen mag.)<br />

In Wirklichkeit verhält es sich so: Der Schreibbrauch wird unmittelbar (freilich auswählend,<br />

sonst brauchte man keine Orthographie) im Wörterverzeichnis festgehalten.<br />

Der Regelteil ist eine Art Kommentar dazu; man versucht induktiv, das Beobachtete<br />

auf allgemeine Sätze zu bringen. Wie weit man damit geht, ist Ermessenssache. Wenn<br />

der Duden von 1880 keine Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung enthält, so<br />

bedeutet das nicht, daß dieser Bereich nicht geregelt wäre. Im Wörterbuchteil steht<br />

z. B. wiederbringen, wiedererhalten usw. Die heutige Reform stellt gerade umgekehrt<br />

theoretisch begründete Regeln auf und wendet sie nachträglich (deduktiv) auf den<br />

Wortschatz an, ohne Rücksicht auf das bisher Übliche.<br />

Erleichtert die Neuregelung den Zugang zur deutschen Schriftsprache?<br />

Die Neuregelung ist nicht nur umfangreicher als das bisher gültige Duden-Regelwerk,<br />

sie übertrifft auch an Kompliziertheit alles bisher Dagewesene. Davon überzeugt<br />

schon ein vergleichender Blick in die beiden Werke – wozu sich allerdings viele<br />

Befürworter der Reform nicht aufraffen können. So schreibt der hessische<br />

Kultusminister Holzapfel noch am 25. September 1997 an alle hessischen Bundestagsabgeordneten,<br />

das Ziel „weniger Regeln und überschaubare Regeln“ sei erreicht<br />

worden. Ähnlich äußerten sich seine Kollegen. Sie können das neue Regelwerk nie in<br />

der Hand gehabt haben.<br />

Es wird behauptet, die Neuregelung beseitige zahlreiche Ausnahmen und Ausnahmen<br />

von Ausnahmen. Daß dies nicht zutrifft, kann nur im Rahmen einer vollständigen<br />

Analyse nachgewiesen werden; ich verweise daher auf meinen „Kritischen<br />

Kommentar“. Doch lassen sich auch an dieser Stelle einige wesentliche Beurteilungsgesichtspunkte<br />

in Erinnerung rufen:<br />

Die Unterscheidung von Regel und Ausnahme ist weitgehend ein Problem der<br />

Darstellung und auf die gültige Dudenrechtschreibung nicht ohne weiteres anwendbar,<br />

Grundlage bisheriger Grundsätze – überfällig ist.“ (Leserbrief von Ministerialdirektor<br />

Günter Habedank an die F.A.Z vom 2.11.1995) – In einem für Wernstedt verfaßten Papier<br />

<strong>schreiben</strong> die Reformer Augst und Schaeder: „Herr Ickler irrt, wenn er den Reformern<br />

unterstellt, diese wollten die Rechtschreibung ändern, weil die Sprache und speziell deren<br />

Lautung sich geändert hat. Nein, die Rechtschreibung ist seit 1902 mit einer sinnlosen<br />

Kasuistik überfrachtet worden“ (usw.). Also kein Sprachwandel, sondern ein<br />

Dudenwandel. Folglich wäre der Duden zu reformieren, nicht die Rechtschreibung selbst.<br />

7 Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 125.<br />

8 Ebd. S. 129.<br />

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