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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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„Fachleute werden das Wort als Zus. erkennen, vgl. analoge Wörter unter -kratie.“ Zu<br />

Skateboard: „Für Fachleute eine Zus.“ Zu Cornflakes: „Die Fachleute stellen es zu<br />

Korn und Flocke.“ „Dass sozial u. Sozius zusammengehören, wissen nur Fachleute.“<br />

Zu fingieren: „Fachleute werden es zu fiktiv stellen.“ In allen diesen Fällen genügen<br />

bescheidene Fremdsprachenkenntnisse. Mit Fachlichkeit hat das nichts zu tun. In einer<br />

ganzen Reihe vom „Bemerkungen“ wird den Fachleuten aber noch eine andere Rolle<br />

zugewiesen. So lesen wir unter fitten (,anpassen‘), Fitting (,Verbindungsstück für<br />

Rohrleitungen‘): „Die Fachleute müssen entscheiden, ob sie es zu fit stellen.“ – Was<br />

liegt daran, wie die Fachleute entscheiden? Für den Zweck des Buches ist es<br />

gleichgültig.<br />

Da Augst vor allem abschreibt, bezeichnet er das Vorkommen eines Wortes im HDG<br />

als „Beleg“. Bis auf ein paar DDR-Ideologismen darf kein Jota weggelassen werden,<br />

und hinzugefügt wird der kanonischen Vorlage nur ganz selten ein Wort aus dem DUW<br />

zwecks Vervollständigung eines Paradigmas. Auf diese Weise läßt sich weder ein<br />

eigenständig ermitteltes Bild des heutigen Wortbestandes noch gar der subjektive<br />

Wortbesitz normaler Sprecher gewinnen. Unter repassieren vermerkt Augst: „Die<br />

Informanten kennen das Wort nicht.“ Wozu wird es dann angeführt? Zu Melange (1.<br />

Kaffeemischung, 2. Gewebe) bemerkt Augst: „Die meisten Informanten kennen nur je<br />

eine Bed., so dass der synchrone Zusammenhang nicht geklärt werden kann.“ Aber<br />

wenn die Sprecher den synchronen Zusammenhang nicht kennen, dann gibt es eben<br />

keinen, im Gegensatz zum diachronen, der eine Tatsache außerhalb der Köpfe bleibt.<br />

Die enge Bindung an das HDG hat zur Folge, daß auch der Wortbestand auffallend<br />

antiquiert ist. Schüler <strong>schreiben</strong> eine Ex in Bio, ihre Eltern kaufen im Bioladen usw.,<br />

aber davon weiß das Wörterbuch nichts. Wörter, die heute in aller Munde sind wie<br />

Internet, Laptop, Pocket(kamera), Display, Punk, Skinhead usw., sind nicht aufgenommen.<br />

Man findet gerade noch das Softeis, nicht die Software; den Schnittlauch, nicht<br />

die Schnittstelle; die Maus kommt als Nagetier vor, nicht als Computerzubehör. Es ist<br />

eben der Wortschatz der DDR der fünfziger bis siebziger Jahre; Graffiti gab es nicht,<br />

nur Graphit. In der gleichen Weise bleibt der ganze Bereich der griechischen und<br />

lateinischen „Konfixe“ (Mega-, Nano- usw.) unterbelichtet.<br />

Es liegt nahe, daß die Sprachteilhaber in der heutigen Flut der Entlehnungen und<br />

Neubildungen allmählich gewisse Beziehungen erkennen oder herstellen. Zum<br />

Beispiel dürfte jedermann spüren, daß Nostalgie und Neuralgie etwas gemein haben,<br />

ebenso Monarchie, Oligarchie und Hierarchie. Die reformierte Rechtschreibung tut<br />

zwar alles, um diese Einsicht zu verdunkeln, indem sie – beispielsweise durch die<br />

närrische Silbentrennung – Talgie und Ralgie, Narchie, Garchie und Rarchie zu<br />

selbständigem Dasein verhilft, aber das kann den intuitiven Zusammenhang nicht<br />

gänzlich aufheben. Das Wortfamilienwörterbuch weiß von solchen Dingen so gut wie<br />

nichts.<br />

Das HDG war, wie gesagt, auch ein typisches DDR-Produkt mit seinem teilweise<br />

unerträglichen ideologischen Ballast. Das ist selbstverständlich getilgt. Nur in Spuren<br />

nimmt man es noch wahr. Eine Junta hat natürlich eine reaktionäre Zielstellung. Statt<br />

einfach zu sagen, daß Gott als Eigenname gebraucht wird (was mit einer dem<br />

Staatsatheismus verdächtigen Existenzpräsupposition verbunden werden könnte),<br />

windet sich das HDG in fast unverständlicher Weise:<br />

230<br />

/o. Pl.; mit Art. nur in Verbindung mit einem Attr./ in der Vorstellung

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