REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Fassung. Dieses Eingeständnis geht grundsätzlich über eine Duldung das Alten neben<br />
dem Neuen hinaus, es ist ein Eingeständnis des Scheiterns in zentralen Bereichen und<br />
zwar wegen oft nachgewiesener Verstöße gegen die deutsche Grammatik (das nichts<br />
Sagendste, noch tief schürfender usw., ebenso aber auch die Großschreibung in<br />
Bankrott gehen u.v.a.). Das Gericht ist von seiten unabhängiger Sprachwissenschaftler<br />
viele Male darauf hingewiesen worden, geht aber mit keinem Wort darauf ein. Es<br />
verschanzt sich wie schon in der mündlichen Verhandlung hinter der Behauptung, nicht<br />
linguistischer Obergutachter sein zu wollen – ohne jedoch auf sprachbezogene<br />
Aussagen von entscheidender Bedeutung zu verzichten, wenn es der angestrebte<br />
Zweck erfordert: die Neuregelung für geringfügig zu erklären.<br />
Aus dem Urteil des OVG Schleswig vom 13.8.1997 zitiert das Gericht u. a. die<br />
„positive Akzeptanzprognose“, nicht aber den entscheidenden, an prominenter Stelle,<br />
nämlich am Schluß stehenden weiteren Text. Er lautet:<br />
„Wenn allerdings der Bundestag und/oder Landtage durch politische Beschlüsse<br />
mit parlamentarischer Autorität gegen die Rechtschreibreform Stellung bezögen,<br />
wäre wohl nicht mehr damit zu rechnen, daß sich das Reformwerk gleichwohl<br />
noch durchsetzte. Für den Fall etwa wäre es dann kein tauglicher Gegenstand<br />
eines korrekten Deutschunterrichts mehr, wie ihn Eltern aus Schulverhältnis und<br />
Elternrecht verlangen können.“<br />
Durch den Bundestagsbeschluß vom 26.3.1998 ist die „positive Akzeptanz-Prognose“<br />
(OVG Schleswig) erschüttert; dasselbe würde durch den Volksentscheid eintreten 157 ,<br />
wie denn auch alle Umfragen nach wie vor eine hohe Ablehnungsquote in der<br />
gesamten Bevölkerung ergeben und auch nach dem 1.8.1998 nicht mit einer<br />
allgemeinen Umstellung zu rechnen ist, außer natürlich in den umstrittenen<br />
Sonderbereichen, über die der Staat „Regelungsgewalt“ hat. 158<br />
Das Urteil resümiert die vorgelegten Stellungnahmen zwar nur pauschal, interessant ist<br />
jedoch, daß aus dem Schreiben des Bundesverbandes der Zeitungsverleger gerade der<br />
entscheidende Schlußsatz nicht zitiert wird: „Gleichwohl liegt uns daran zu betonen,<br />
daß den Zeitungsverlegern in ihrer Gesamtheit in keiner Weise an einer Umsetzung der<br />
Rechtschreibreform gelegen ist.“ Und dies, nachdem in dem Schreiben ausdrücklich<br />
festgestellt wurde, daß die erwartbaren Kosten von 5 Mill. Mark für die Umstellung<br />
„mit Blick auf den Gesamtumsatz unserer Branche nicht allzu hoch“ sein würden.<br />
Nicht erwähnt werden natürlich auch die umfassenden sprachwissenschaftlichen<br />
Analysen, die ich für den Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege<br />
vorgelegt habe. Dem Gericht lag ferner die von nahezu 600 Professoren der Sprach-<br />
157 Nachtrag: Die Bevölkerung Schleswig-Holsteins bekundete im September 1998 durch<br />
Volksentscheid ihre Ablehnung der Reform, die daraufhin ausgesetzt wurde. Ein Jahr<br />
später annullierte der Landtag auf Antrag der CDU-Fraktion dieses Votum, und die<br />
Reform wurde aufs neue eingeführt.<br />
158 Nachtrag: Diese Prognose hat sich bestätigt. Nach dem 1. August 1998 ist zwar die<br />
Reformpropaganda – besonders durch Duden und Bertelsmann – enorm verstärkt<br />
worden, die Druckmedien sind jedoch bei der alten Rechtschreibung geblieben. Die<br />
Schüler lernten teilweise schon das dritte Jahr eine Orthographie, die außerhalb der<br />
Schule nahezu unbekannt war. Am 1.8.1999 haben zwar die meisten deutschen Tageszeitungen<br />
und einige Zeitschriften auf diverse Hausorthographien umgestellt, aber dabei<br />
spielte laut Mitteilung der Zeitungsverleger und der Nachrichtenagenturen das Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichts gerade die entscheidende Rolle.<br />
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