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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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eformierten Duden Bd. 9 wird wieder und wieder gelehrt: „Zur besseren Lesbarkeit“<br />

(!) „kann ein Bindestrich gesetzt werden: Nuss-Schokolade.“ Daß Nußschokolade<br />

perfekt lesbar war, bleibt bezeichnenderweise unerwähnt.<br />

Dieter E. Zimmers Rechtschreibtest nach dem Muster des Kosogschen Diktats ist auch<br />

nach dem Urteil der Reformer wertlos. Auch nach der Neuregelung lassen sich entsprechende<br />

„Tests“ anfertigen, die die Unlernbarkeit der reformierten Rechtschreibung<br />

„beweisen“. Ein stärkerer Beweis ist die außerordentliche Fehlerhaftigkeit neuschreiblicher<br />

Texte, die von der KMK, von den Kultusministern und vom IDS herausgebracht<br />

werden. Die Stellungnahme des IDS für das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel<br />

enthält siebzehn (!) Verstöße gegen die selbstgewählte neue Rechtschreibung, die doch<br />

sozusagen im eigenen Hause ausgearbeitet worden ist und von dort mit allen Mitteln<br />

propagiert wird.<br />

Es war nach Löwer die Absicht der Reform, „die Grundregeln der deutschen Rechtschreibung<br />

von 1901/02 wieder zu stärken“ und die Ausnahmen zurückzuschneiden.<br />

Das mag zutreffen, aber dieses Ziel ist nach dem Urteil der sprachwissenschaftlichen<br />

Kritik nicht erreicht worden. Wenn man sich an das Originalwerk hält und nicht an die<br />

gefällig vereinfachten, in hoher Stückzahl verbreiteten Propagandaschriften, wird man<br />

unweigerlich zu der Erkenntnis kommen: Die Neuregelung ist evident ungeeignet,<br />

die Erlernung der Rechtschreibung zu erleichtern. Schon das Ausmaß der<br />

Veränderungen ist viel zu gering, um einen nennenswerten Effekt zu erzielen. Viele<br />

Eingriffe beziehen sich auf völlig marginale Einzelwortschreibungen (Frigidär,<br />

Bonboniere, Nessessär, Gämse, Ständelwurz), die in Schülerarbeiten nicht<br />

vorkommen. Außerdem ist die Menge der Regeln und Ausnahmen nicht kleiner<br />

geworden. Noch wichtiger ist der Hang, gegen die tatsächliche Sprachentwicklung<br />

anzukämpfen und die intuitiv sehr wohl erfaßbare Systematik an zahlreichen Stellen<br />

willkürlich zu zerreißen. Als wohl krassestes Beispiel kann die Getrennt- und<br />

Zusammenschreibung gelten. Hier wird bei grundsätzlicher (aber nie ausgesprochener<br />

und begrifflich offenbar überhaupt nicht bewältigter) Anerkennung der Zusammenschreibung<br />

von Wortgruppen eine Menge vollkommen willkürlicher Einschränkungen<br />

verordnet, so daß es jetzt zum Beispiel heißen soll: auseinander setzen (aber<br />

zusammensetzen), heilig sprechen (aber freisprechen) usw.<br />

Sowohl für Löwers Text als auch für die gleichsinnigen Stellungnahmen der anderen<br />

Reformbefürworter (Deutscher Philologenverband, GEW usw.) sei hier festgestellt:<br />

Weder das beliebte Gerede vom „Regelwust“ des bisherigen Duden noch der Lobpreis<br />

der „Vereinfachungen“ durch die gegenwärtige Neuregelung können auf Autopsie<br />

beruhen. Was den Duden betrifft, so zeigt eine Sichtung des Regelteils, daß zwar<br />

manches aus systematischer Sicht gestrichen werden könnte, was offensichtlich nur auf<br />

Wunsch der zahllosen ratsuchenden Benutzer hineingenommen worden ist, und daß<br />

auch manche andere pragmatisch motivierte Eigenheit aus wissenschaftlichsystematischer<br />

Sicht geändert werden könnte, daß aber die 1991 vorgelegte<br />

Beschreibung des allgemein üblichen Schreibgebrauchs insgesamt nicht schlecht und<br />

auch recht gut verständlich ist. Demgegenüber ist festzuhalten, daß das neue<br />

Regelwerk auch nach Aussage einiger Verfasser (Sitta, Gallmann, Zabel) extrem<br />

schwerverständlich und der didaktischen Aufbereitung bedürftig ist. Die Erfahrung hat<br />

gezeigt, daß nicht einmal die Verfasser imstande sind, den Text vollständig zu<br />

verstehen. Schaeder kennt sich, wie ich nachgewiesen habe, in seinem ureigensten<br />

Teilbereich, der Getrennt- und Zusammenschreibung, nicht hinreichend aus. Die neue<br />

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