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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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neue auf dem Tisch. Und so ging es weiter, bis das ganze Zimmer mit<br />

Joghurtbechern angefüllt war. Ich schrie vor Angst und wachte auf. Vor mir stand<br />

meine Mutter, beruhigte mich und meinte, daß es das beste wäre, diesen Traum<br />

schnell zu vergessen.<br />

Anstelle der bunten Fülle wirklicher Fehler, wie sie in echten Schülertexten (z. B. Aufsätzen)<br />

vorkommen, hat Schaeder hier ein paar derjenigen Stolpersteine ausgewählt,<br />

deren Fehlschreibung nach der geplanten Neuregelung keine mehr sein soll: Alptraum<br />

(Alptraum/Albtraum), gestern nacht (Nacht), radfahren (Rad fahren), Joghurt<br />

(Joghurt/Jogurt), numerieren (nummerieren), aufeinanderstapeln (aufeinander<br />

stapeln), das beste (das Beste) sowie zwei erweiterte Infinitive mit einem Komma, das<br />

(angeblich! – s. u.) künftig wegfallen kann. Auf diesem methodisch völlig indiskutablen<br />

Wege läßt sich leicht erreichen, daß die Fehlerquote drastisch sinkt. Zur sofort<br />

erkennbaren methodischen Unzulässigkeit kommt noch folgendes hinzu: Bei gestern<br />

nacht unterliegen Anfänger natürlich einer gewissen Verführung, Nacht groß zu<br />

<strong>schreiben</strong>, womit sie – auch ohne Kenntnis irgendeiner Regel – der geplanten<br />

Neuregelung zufällig gerecht werden. Zur Kontrolle hätte man eine Fügung wie<br />

Sonntag nacht einfügen müssen, wo derselbe Mechanismus zu einer Schreibung<br />

geführt hätte, die auch nach der Neuregelung falsch wäre: Sonntag Nacht statt<br />

Sonntagnacht. Schaeder selbst hat den Diktattest ausgewertet und dabei gefunden, daß<br />

in einer achten Klasse insgesamt 124 Fehler gemacht wurden, von denen nach einer<br />

Reform 43 übriggeblieben wären. Natürlich <strong>schreiben</strong> die 14jährigen das beste und<br />

nacht überwiegend groß und numerieren mit zwei m – etwas anderes ist nicht zu<br />

erwarten, bevor sie mehr Leseerfahrung oder einen besseren Unterricht genossen<br />

haben. Dabei zählt Schaeder auch noch falsch, da er die Bindestrich-Schreibung<br />

Joghurt-Becher als Fehler wertet; die alte Dudenregel R 33 („Zusammengesetzte<br />

Wörter werden gewöhnlich ohne Bindestrich geschrieben“) läßt einen solchen<br />

Bindestrich durchaus zu (vgl. auch Nerius: Die Neuregelung der deutschen<br />

Rechtschreibung. Berlin 1996, S. 51). Außerdem wertet Schaeder das letzte Komma<br />

als fakultativ; es ist aber nach der Neuregelung (§ 77[5]) obligatorisch! Daß nicht<br />

weniger als 13 von 22 Schülern in diesem Kontext Radfahren geschrieben haben, ist<br />

sonderbar. Übrigens ist Rad fahren kein Fehler. Die Dudenregel R 207 bestimmt:<br />

„Man schreibt ein Substantiv mit einem Verb zusammen, wenn das Substantiv<br />

verblaßt ist und die Vorstellung der Tätigkeit vorherrscht.“ Damit ist radfahren<br />

zulässig, Rad fahren aber nicht unzulässig, denn dies läßt sich jederzeit frei<br />

konstruieren, „unverblaßt“ sozusagen. Im Wörterbuch braucht es nicht zu stehen;<br />

Fahrrad fahren steht ja auch nicht drin. Ähnlich könnte man aufeinander stapeln nicht<br />

als Fehler, sondern als Nichtanwendung einer in R 205 angegebenen Möglichkeit<br />

betrachten. Schaeder jedoch bilanziert allein aufgrund dieser beiden Fälle, daß sich<br />

durch die Neuregelung die Fehlerzahl im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung<br />

von 14 auf 0 reduziere! Eine Fehlerverminderung um 100% läßt natürlich jeden<br />

Kritiker verstummen und übertrifft selbst die kühnsten Träume der Reformer.<br />

Nachdem das „Mogeldiktat“ (wie es alsbald hieß) durch meinen Leserbrief in der<br />

Süddeutschen Zeitung vom 22.3.1997 einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht<br />

worden war, spielte es in der Diskussion um die angeblichen Vorzüge der Neuregelung<br />

keine Rolle mehr. Der Reformer Zabel freilich hat das Diktat samt Schaeders<br />

Korrektur in seinem Buch „Widerworte“ (1997) festgehalten, kaum zur Freude des<br />

Erfinders. – Übrigens waren sich schon in den fünfziger Jahren alle damaligen<br />

Reformer (Hugo Moser, Leo Weisgerber u. a.) einig, daß solche künstlichen Diktate<br />

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