REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Ein Jahr später verhöhnte der bayerische Kultusminister seinerseits die Unterzeichner<br />
der „Frankfurter Erklärung“, sie hätten geschlafen oder kämen wohl von einem<br />
längeren Auslandsaufenthalt zurück.<br />
Als die Ostberliner Sprachwissenschaftler Fuhrhop, Steinitz und Wurzel einen<br />
reformkritischen Beitrag über die erst auszugsweise bekannten Reformpläne von 1994<br />
im Sprachreport des Instituts für deutsche Sprache (IDS) veröffentlichen wollten,<br />
wurden sie abgewiesen. 36 Klaus Heller weigerte sich in seiner Replik, auf den Inhalt<br />
einzugehen, denn die Diskussion sei abgeschlossen. Wer das „Angebot“, sich zu den<br />
1992 vorgelegten Vorschlägen zu äußern, nicht wahrgenommen habe, könne jetzt nicht<br />
mehr gehört werden. Seit 21 Jahren seien „Forschungsergebnisse, Überlegungen und<br />
Vorschläge zu diesem Gegenstand ständig publiziert und zum Teil ausgiebig diskutiert<br />
worden“. Heller übergeht, daß der 1994 vorgelegte Entwurf in dieser Form noch nie<br />
zuvor veröffentlicht worden war und daher auch nicht diskutiert werden konnte. Aus<br />
Hellers Brief geht hervor, daß der Protest nicht erst 1996 zu spät kam, sondern auch<br />
zwei Jahre vorher, unmittelbar nach der Dritten Wiener Konferenz, zu spät gekommen<br />
wäre, weil eine Diskussion des endgültigen Reformplanes überhaupt nie ins Auge<br />
gefaßt worden war. Interessant sind auch die weiteren Angaben. 1974 also hätte man<br />
sich in die Reformdiskussion einschalten müssen, lange vor der staatlichen<br />
Beauftragung des Internationalen Arbeitskreises. Aus dieser Äußerung spricht auch der<br />
Expertendünkel eines Wissenschaftlers, der ein Vierteljahrhundert nichts anderes als<br />
Orthographieforschung getrieben hat.<br />
Der Reformer Horst Sitta schreibt im Sammelband von Eroms/Munske „Die<br />
Rechtschreibreform – Pro und Kontra“ (1997):<br />
„Ich beteilige mich nicht ohne Zögern an einem Buch, das den Titel trägt: Die<br />
Rechtschreibreform – Pro und Kontra. Die Rechtschreibreform ist von den<br />
politisch zuständigen Stellen beschlossen; man möge nicht so tun, als könne es<br />
noch um pro und kontra gehen. Gehen kann es allenfalls um die Frage, wie die<br />
beschlossene Neuregelung realisiert werden kann und wie diese Realisierung<br />
wissenschaftlich zu begleiten ist.“ 37<br />
Nachdem Sitta, der die Reform geschickter als seine Mitreformer privat vermarktet,<br />
die Sache unter Dach und Fach hat, möchte er jede Diskussion darüber als illegitim<br />
hinstellen – ein Jahr vor dem Inkrafttreten.<br />
Zur Überrumpelung gehört auch die Ansetzung scheinbar großzügiger Übergangsfristen.<br />
Niemand braucht sich schon 1996 aufzuregen, wenn es erst im Jahre 2005<br />
wirklich ernst wird. In Wirklichkeit entschied sich alles in den ersten Wochen. Der<br />
vorgezogene Beginn wurde von den Kultusministern mit dem angeblichen Wunsch der<br />
Eltern gerechtfertigt, ihre Kinder sollten doch nicht mehr in der alten Rechtschreibung<br />
unterwiesen werden, wenn ohnehin bald eine neue gelernt werden müsse. Ob Eltern<br />
dies je gesagt haben, läßt sich kaum noch feststellen. Es wäre auch ohne Belang; denn<br />
der Wille der Eltern spielte im weiteren Fortgang der Reform keine Rolle mehr, soweit<br />
er nicht vor Gericht durchgesetzt werden konnte.<br />
Die GEW schreibt in ihrer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht vom<br />
November 1997:<br />
36 Der Beitrag erschien dann in der Zeitschrift für germanistische Linguistik 23, 1995. Ebd.<br />
auch Hellers Replik.<br />
37 A.a.O. S. 219.<br />
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