REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Ein Jahr später beschränkt sich die Zeitschrift darauf, ss zu <strong>schreiben</strong> und sonst nichts!<br />
Ebenso halten es die „Zeitschrift für Semiotik“ seit Heft 1/1999, die Zeitschrift<br />
„Sprachwissenschaft“ u. a.<br />
Das bayerische Kultusministerium verfaßt offizielle Verlautbarungen seit längerem in<br />
der Neuschreibung. Trotz Nachschulung beherrschen die Mitarbeiter fast nur die s-<br />
Schreibung. Am 12.9.1997 unterzeichnete der Minister persönlich ein sehr fehlerhaftes<br />
Rund<strong>schreiben</strong> an alle Schulen (Az III/9-S4313-8/128389). In einem Papier zur Schulentwicklung<br />
vom 30.3.1998 findet man: im folgenden, des weiteren, profilgebend,<br />
hochbegabt, Drop-Outs, selbstgesteuert, auseinanderentwickeln, darüberhinaus, des<br />
einzelnen, im wesentlichen, fehlendes Komma nach hinweisendem Wort (ist es<br />
notwendig den Unterricht weiterzuentwickeln), mehrmals vor aber und sondern und in<br />
weiteren Fällen – im Durchschnitt zwei Fehler pro Seite. Solche orthographisch<br />
verwahrlosten Texte wären nicht möglich, wenn die bayerische Schulverwaltung ihrer<br />
eigenen Forderung nachkäme:<br />
„Auf die Pflege der Muttersprache, auf eine präzise, differenzierte und angemessene<br />
Ausdrucksweise, muss daher in allen Fächern und allen<br />
Unterrichtssituationen größter Wert gelegt werden.“ (A.a.O.)<br />
Verhältnismäßig korrekt setzt die vom bayerischen Kultusministerium herausgegebene<br />
Elternzeitschrift „schule aktuell“ die Neuschreibung um, doch schreckt die Redaktion<br />
vor den äußersten Härten zurück: Bisher waren seine Leistungen durchaus<br />
zufriedenstellend (2/98; „richtig“: zufrieden stellend 73 ).<br />
Das Institut für deutsche Sprache (IDS) hat dem Bundesverfassungsgericht am<br />
10.11.1997 eine Stellungnahme zugesandt, einen rhetorisch geschickt ausgearbeiteten<br />
Text in neuer Rechtschreibung. Er enthält siebzehn orthographische Fehler: des ABCs<br />
(Abcs oder Abeces), des neugefassten Regelwerks (neu gefassten), neugeregelt (neu<br />
geregelt), ebensowenig (ebenso wenig), in Folge dieser Gleichsetzung (einige Seiten<br />
später wird erklärt, warum es infolge heißen muß!), Stop (Stopp), weiter zu führen<br />
(weiterzuführen), weiter führend (weiterführend), gleichgeschrieben (gleich<br />
geschrieben), im übrigen (im Übrigen), kritisch-prüfend (kritisch prüfend), spezifischeigen<br />
(spezifisch eigen); Fälle wie weitgehend und weitreichend sind diskutabel, da<br />
sich ihre richtige Schreibung dem Regelwerk und Wörterverzeichnis nicht mit letzter<br />
Sicherheit entnehmen läßt.<br />
Als die Bundesverfassungsrichter am 12.5.1998 die Frage aufwarfen, welche Fachzeitschriften<br />
bereits auf die Neuregelung umgestellt hätten, nannte der Dudenchef nach<br />
einigem Nachdenken „Archäologie in Deutschland“. Eine Überprüfung ergab, daß<br />
diese Zeitschrift fast nur die neue s-Schreibung befolgt; im übrigen enthielt allein das<br />
Heft 3/1997 u. a. folgende Fehler: wasserführend, Brennessel, landverbrauchend,<br />
sogenannt, feinverteilt, verlorengegangen, fertiggestellt, letztere, der erste,<br />
liegengelassen, guterhalten, aufeinandergestellt, neuentdeckt, ineinandergreifen,<br />
zugrundeliegen, fernhalten, bekanntgeworden, darunterliegende, beinverarbeitend,<br />
ineinandergestapelt, bronze- und eisenverarbeitend, neugegründet, wieder entdeckt. –<br />
Dieser Befund ist durchaus repräsentativ für den Zustand neuschreiblicher<br />
Druckwerke.<br />
73 An einem oberbayerischen Gymnasium wurde eine Lehrerin vom Direktor gerügt, weil<br />
sie unter eine Schülerarbeit geschrieben hatte, die Arbeit sei zufriedenstellend. Sie hätte<br />
grammatisch falsch zufrieden stellend <strong>schreiben</strong> müssen.<br />
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