REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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„Verunglimpfung“. Ihre politischen Auftraggeber verweisen Fragesteller und Kritiker<br />
stets an die Mannheimer Kommission als den einzig legitimen Ort, Rechtschreibfragen<br />
zu diskutieren. Damit haben sich die Kulturpolitiker allerdings selbst vollkommen in<br />
die Hand der Reformer gegeben und von deren Informationsmanagement abhängig<br />
gemacht. Als die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sich erkühnte, eine<br />
eigene Rechtschreibkommission zu gründen, wurde dies in Mannheim als Ketzerei<br />
empfunden und mit entsprechenden Kommentaren bedacht.<br />
Die ständigen Mahnungen zur „Sachlichkeit“ laufen so sehr ins Leere, daß man einer<br />
Diskussionsteilnehmerin recht geben möchte, die den Mahnern folgendes<br />
entgegenhielt:<br />
„Was verstehen Sie unter den gutdeutschen Worten ,Sachlichkeit‘, ,sachliche Auseinandersetzung‘<br />
und ,sachliche Begründung‘? Es liegt gegen die Rechtschreibreform<br />
eine Fülle ernstzunehmender, von maßgeblicher Seite vorgetragener und<br />
begründeter Argumente vor. Diese Argumente beinhalten Tatsachen und stehen in<br />
sachlichem Zusammenhang mit der Sache Rechtschreibreform. Trotzdem wird<br />
von Ihrer Seite immer wieder sowohl die Kritik pauschal als auch der einzelne<br />
Kritiker als unsachlich und emotional abgetan. Anstatt sich mit den<br />
vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen, wird stereotyp eine<br />
,Versachlichung‘ und eine ,sachliche Diskussion‘ gewünscht, obwohl diese<br />
meines Erachtens von seiten der Kritiker längst im Gange ist.“<br />
Dieses Zitat habe ich allerdings leicht verändert: Statt „Rechtschreibreform“ heißt es<br />
im Original „Rahmenrichtlinien“, und es handelt sich um den Diskussionsbeitrag einer<br />
Frau aus dem Volk gegen den Deutschdidaktiker und Chefideologen der Hessischen<br />
Rahmenrichtlinien, Hubert Ivo, aus dem Jahre 1973. 47 Es ist kein Zufall, daß sich<br />
seither nichts geändert zu haben scheint. Die Rechtschreibreform leitet sich, obwohl<br />
fast bis zur Unkenntlichkeit verwässert, immer noch aus jenem Geist der<br />
emanzipatorischen Pädagogik her, wofür insbesondere die alles überdauernde Figur<br />
des Reformers Augst bürgt.<br />
Die Lehrer werden zu „Gelassenheit“ gemahnt, besonders von den Kultusministern,<br />
vom Chef der Dudenredaktion und von den Schulbuchverlagen, die in Ruhe Geschäfte<br />
machen wollen.<br />
„Seit dem Schuljahr 1996/97 lernen Millionen von Schülern und lehren viele<br />
tausend Lehrer nach den neuen Regeln. Sie tun dies mit Erfolg, wie es<br />
Schülertests beweisen, und mit großer Gelassenheit.“<br />
So der Verband der Schulbuchverlage e.V. in einem Schreiben vom 23. Juni 1997 an<br />
alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Utz Maas stellt jedoch mit Recht fest,<br />
daß die „Gelassenheit“, mit der man sprachwissenschaftliche Kontroversen beobachtet,<br />
„gegenüber Instanzen der Verstaatlichung der Rechtschreibung“ nicht angebracht sei. 48<br />
Einen denkwürdigen Einblick in die menschlich-allzumenschlichen Hintergründe der<br />
Reform eröffnet ein jüngst veröffentlichter Bericht von Gerhard Augst über die<br />
Unterzeichnung der Wiener Absichtserklärung:<br />
„Es war für mich ein bewegender Augenblick, aus der zweiten Sitzreihe – neben<br />
47 Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 1973, Heidelberg 1974, S.<br />
168.<br />
48 Augst et al. (Hg.) 1997, S. 360.<br />
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