REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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folgende Kommentar von Nutzen sein. Er gilt einem Text, den der Jurist Wolfgang<br />
Löwer in einer anderen Sache (Gernot Holstein gegen Land Berlin) vorgelegt hatte,<br />
seltsamerweise aber in Karlsruhe nochmals einreichte.<br />
Stellungnahme zu Wolfgang Löwers<br />
Revisionsbegründung in der Verwaltungsstreitsache Holstein/Land Berlin 128<br />
Zu den sprachphilosophischen Fragen, die Löwer eingangs erörtert, werden die verschiedensten<br />
Meinungen vertreten; ich möchte darauf nicht eingehen. Auch bedarf es<br />
keiner Klassikerzitate, um sich ein zutreffendes Bild von der Bedeutung der<br />
Schriftsprache für den heutigen Menschen zu machen. Die Schriftsprache ist eine zwar<br />
nicht gleichursprüngliche, heute aber gleichrangige Erscheinungsform der Sprache<br />
neben der gesprochenen. Die starke, auch gefühlsmäßige Bindung an das<br />
herkömmliche Schriftbild beruht einerseits natürlich auf Gewöhnung, andererseits aber<br />
auch auf einer intuitiven Kenntnis systematischer Zusammenhänge. Dies wird gerade<br />
von den reformorientierten Orthographieforschern immer wieder hervorgehoben. Die<br />
Rechtschreibung ist ungeachtet historischer Relikte in hohem Maße systematisch, und<br />
die individuelle Rechtschreibkompetenz ist ebenfalls wohlorganisiert und keineswegs<br />
chaotisch (Augst/Stock in Augst et al. [Hg.] 1997).<br />
Dazu ein Beispiel: Die sogenannte „Substantivgroßschreibung“ 129 ist an sich nur<br />
eine Konvention, aber nachdem sie einmal Geltung gewonnen hat, ist die Großschreibung<br />
einzelner Substantive ebensowenig konventionell wie die Kleinschreibung<br />
von leid tun und recht haben (so leid es mir tut, du hast sehr recht). Dies<br />
„weiß“ der Sprachteilhaber, auch wenn er es vielleicht nicht formulieren kann.<br />
Die Reform verstößt mit ihrer willkürlich erfundenen und auf falsche Argumente<br />
gestützten Großschreibung Leid tun, Recht haben gegen einen systematischen<br />
Zusammenhang und wird daher sogar schon von Kindern mit Sprachgefühl<br />
abgelehnt. 130<br />
Die Geschichte der Einheitsorthographie bis 1901/2 ist vor allem die Geschichte ihrer<br />
Vereinheitlichung. Das heißt, es wird in keinem Falle eine neuartige Schreibweise<br />
erfunden und verordnet (kein novum et inauditum, wie Wilmanns 131 1880 von der<br />
128 Mein Text wurde dem Bundesverfassungsgericht am 30.4.1998 zugeleitet. Hier ist er<br />
leicht gekürzt.<br />
129 Zur Problematik dieses Begriff vgl. meinen „Kritischen Kommentar zur Neuregelung der<br />
deutschen Rechtschreibung“.<br />
130 Die Reformer hätten sich an Konrad Duden halten sollen, den sie sonst so gern zitieren:<br />
„Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst,<br />
wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element<br />
nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes<br />
Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat<br />
ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von<br />
Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem<br />
substantivischen Objekt vor sich hat.“ (Die Zukunftsorthographie (usw.). Leipzig 1876,<br />
S. 70)<br />
131 „Über die preußische Schulorthographie“ (1880). In: Burckhard Garbe (Hg.): Die<br />
deutsche rechtschreibung und ihre reform 1722-1974. Tübingen 1978, S. 114.<br />
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