REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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ung des Deutschen und ihre Neuregelung. Hg. v. d. Kommission für Rechtschreibfragen.<br />
Düsseldorf 1985, S.164)<br />
Ein solcher Kuhhandel mit Rechtschreibänderungen, die anschließend Millionen<br />
Menschen zum Umlernen bringen sollten, stößt mit Recht auf Mißtrauen.<br />
Daß die Neuregelung den Stand der deutschen Sprachwissenschaft widerspiegele, trifft<br />
glücklicherweise nicht zu. Im Gegenteil: Die Fachöffentlichkeit hat das Reformwerk<br />
wegen seiner offenkundigen Fehlerhaftkeit immer abgelehnt, und neuerdings<br />
artikuliert sich dieser Widerstand auch in organisierter Form. Fast sechshundert<br />
Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften haben im April und Mai 1998<br />
folgende Erklärung unterschrieben:<br />
Die sogenannte Rechtschreibreform „entspricht nicht dem Stand sprachwissenschaftlicher<br />
Forschung“ (so die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft am<br />
3. März 1998); sogar die Rechtschreibkommission der Kultusminister hat in<br />
ihrem Bericht vom Dezember 1997 wesentliche Korrekturen als „unumgänglich“<br />
bezeichnet.<br />
Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der<br />
großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die<br />
Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für<br />
Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden.<br />
Man findet selbst unter den Betreibern der Reform kaum noch jemanden, der zu einer<br />
inhaltlichen Verteidigung bereit wäre. Die sogenannten Bildungsverbände (Lehrerverbände,<br />
GEW, Schulbuchverleger, Bundeselternrat usw.) haben einen beispiellosen<br />
Propagandafeldzug geführt und die Befürworter der Reform zu einer Unterschriftensammlung<br />
aufgerufen. Nach ihrer eigenen Auskunft 151 liegen die gesammelten Unterschriften<br />
ungezählt in einem Archiv, Schätzungen reichen von 5.000 bis maximal<br />
12.000. Unterdessen haben die Kritiker der Reform mindestens 800.000 Unterschriften<br />
gesammelt. Daran läßt sich ablesen, daß die Reform auf breiteste Ablehnung stößt und<br />
mit allgemeiner Akzeptanz gar nicht zu rechnen ist. Wenn frühere Umfragen ergeben<br />
haben, daß eine Mehrheit sich generell für eine Rechtschreibreform aussprach, so ist<br />
das nicht verwunderlich, verspricht doch allein der Begriff der „Reform“ eine<br />
Verbesserung und Erleichterung. Nachdem jedoch bekannt geworden ist, worum es<br />
wirklich geht, ist die Ablehnung allgemein, und zwar gerade nicht bei ungebildeten<br />
Menschen, die nicht wissen, was überhaupt zur Diskussion steht, sondern bei solchen<br />
Bürgern, denen die Sprache und die Schrift nicht gleichgültig sind. Die Frage der<br />
erwartbaren Akzeptanz spielt im Urteil des OVG Schleswig eine bedeutende Rolle.<br />
Löwer bemüht sich, Zweifel an dieser Akzeptanzprognose zu entkräften oder für<br />
irrelevant zu erklären. Dazu gehört auch der Versuch, die Berücksichtigung des breiten<br />
Protests in der Bevölkerung auf „Einflüsterungen der Stimmungsdemokratie“ zu<br />
reduzieren oder sich über das Auslegen von Unterschriftenlisten „in Apotheken“ lustig<br />
zu machen. Hier steht Meinung gegen Meinung. Die weitere Entwicklung wird m. E.<br />
zeigen, daß die Rechtschreibreform keine neuen Freunde hinzugewinnt. Wenn Löwer<br />
schreibt:<br />
„Wenn die Gerichte jetzt für ihre Entscheidungen auf die öffentliche Ablehnung<br />
abstellen, nimmt der diskursive Prozess zirkuläre Züge an.“<br />
151 Dies ergaben telefonische Nachfragen bei mehreren beteiligten Verbänden sowie beim<br />
Sekretariat der KMK.<br />
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