REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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aber spazierengehen heißt nicht „zum Spazieren gehen“, spazierenreiten nicht „zum<br />
Spazieren reiten“ usw.<br />
Die Reformer A&S bekennen sich aufs neue zu dem Vorsatz; „dem Trend zu<br />
vermehrter Zusammenschreibung (...) behutsam entgegenzuwirken“. Ob behutsam<br />
oder nicht – dieser Vorsatz ist und bleibt grundsätzlich fragwürdig, denn der „Trend“<br />
ist ja keine böse Macht, die man bekämpfen müßte, sondern der Wille der<br />
Sprachgemeinschaft selbst. Man kann sich die Argumentationsweise der Reformer am<br />
Beispiel blankbohnern klarmachen: Die Zusammenschreibung kommt, wie A&S<br />
triumphierend aufzeigen, sogar in der Dudengrammatik vor, ist aber laut Duden-<br />
Rechtschreibung (immer im Sinne der oben als „orthodox“ bezeichneten Auslegung)<br />
falsch. Nach der Neuregelung ist sie zwar immer noch und erst recht falsch, aber die<br />
Neuregelung soll und wird nach Ansicht der Reformer alle Sprachteilhaber allmählich<br />
dazu erziehen, solche Gefüge grundsätzlich getrennt zu <strong>schreiben</strong> (wenn der erste<br />
Bestandteil steigerbar ist). Sollte diese Umerziehung tatsächlich gelingen, werden sie<br />
also einen Fehler weniger machen. Aber damit setzen sich die Reformer gänzlich über<br />
die Frage hinweg, warum die Sprachgemeinschaft darauf verfallen ist, solche Gefüge<br />
zusammenzu<strong>schreiben</strong> – und zwar, wie man sieht, noch weit über das vom<br />
Rechtschreibduden vorgesehene Maß hinaus. Um der „Fehlervermeidung“ willen<br />
beseitigt man eine in den letzten 300 Jahren intuitiv und spontan von Millionen<br />
Menschen entwickelte Technik der Notierung semantischer und struktureller Unterschiede.<br />
Aber nicht einmal dieses Ausschütten des Kindes mit dem Bade geschieht<br />
konsequent! Denn im Prinzip bleibt die Möglichkeit der Zusammenschreibung von<br />
Kausativ- und Resultativkonstruktionen ja erhalten, nur wird sie mit sachfremden<br />
Bedingungen verknüpft: Steigerbarkeit des ersten Gliedes; Ausschluß bei Suffigierung<br />
des ersten Bestandteiles mit -ig, -isch oder -lich (daher bereitstellen, aber fertig<br />
stellen!).<br />
„Die Neuregelung möchte auch in der Schreibung deutlich machen, dass ein<br />
Motor sehr wohl heißlaufen, ein Mädchen aber nicht heißgeliebt werden kann.<br />
Also: ein heißgelaufener Motor, aber: ein heiß geliebtes Mädchen.“<br />
Da ein Motor auch sehr heiß laufen kann, müßte hier nach der Neuregelung getrennt<br />
geschrieben werden; und die bisherige Dudenregelung wußte noch, daß es zweierlei<br />
ist, heiß geliebt zu werden oder eine heißgeliebte Person zu sein. Anders gesagt:<br />
heißgeliebt ist so wenig von heiß lieben abgeleitet wie vielgeliebt von viel lieben. Das<br />
haben die Reformer leider nie verstanden und auch aus der Kritik nicht gelernt. Der<br />
Unterschied zwischen attributivem und prädikativem Gebrauch, der für die geltende<br />
Rechtschreibung grundlegend ist, wird weder in der Neuregelung noch in der bisher<br />
vorliegenden Kommentarliteratur berücksichtigt. (Nachtrag: Erst der „Bericht“ vom<br />
Dezember 1997 räumt mit dem Unfug auf und nimmt das umständlich Verteidigte auf<br />
der ganze Linie zurück: blankbohnern soll jetzt wieder Standardform werden, heißgeliebt<br />
ist wieder völlig normal. Wozu dann der ganze Aufwand? – Das mögen sich<br />
auch die Kultusbürokraten gefragt haben und entschieden sich kurzerhand für das von<br />
der Kommission als falsch Erkannte!)<br />
Die Kritik hat auch daran erinnert, daß das Partizip des Präsens im Deutschen nur dann<br />
prädikativ gebraucht wird, wenn es bereits Adjektiv geworden ist. Daher: Sie ist entzückend,<br />
aber nicht: *Sie ist mich entzückend. Folglich auch: Diese Waschmaschine ist<br />
wassersparend, aber nicht: *Die Maschine ist Wasser sparend, *das Tier ist Fleisch<br />
fressend usw. Das ist eine grammatische Selbstverständlichkeit, aber die Reformer<br />
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