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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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den Mitstreitern Blüml, Heller, Ebner und Sitta – mitzuerleben, wie neun Beauftragte<br />

– darunter leibhaftige Ministerinnen und Minister – die ,Gemeinsame<br />

Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung‘ am 1. Juli in<br />

Wien unterzeichnet haben. 1973 hatte ich zum ersten Mal etwas zur Rechtschreibreform<br />

geschrieben. Sah es damals durch den Frankfurter Kongreß<br />

,<strong>vernünftig</strong>er <strong>schreiben</strong>‘ nach baldiger Reform aus, so vergingen nun doch noch<br />

23 Jahre schwieriger Arbeit mit einem Auf und Ab der Gefühle, vielen<br />

Verunglimpfungen (,Honeckers fünfte Kolonne‘), aber auch Ermutigungen<br />

durchzuhalten, vor allem aus der ersten Reihe.“ 49<br />

Im gleichen Text verschweigt Augst durchaus nicht, daß er „viele geliebte<br />

Reformziele“ hatte aufgeben müssen. Die am heißesten „geliebten“ (!) Ziele waren die<br />

Kleinschreibung der Substantive, die Tilgung der Dehnungszeichen, die Einheitsschreibung<br />

das und die Fremdworteindeutschung. Da die Neuregelung in allen diesen<br />

Punkten nun gerade das Gegenteil vorsieht, muß man annehmen, daß es Augst mehr<br />

noch als um die Reformziele um sein Lebensziel ging: sich als Reformer der deutschen<br />

Orthographie, ganz gleich in welcher Richtung, einen Namen zu machen. Daher die<br />

Verklärung jener Szene, in der die Mächtigen etwas unterzeichneten, was er, Augst,<br />

zuwege gebracht hatte. Daher auch der heiße Dank des Mannes in der zweiten Reihe<br />

an die Männer in der ersten. Das bemerkenswerte Bekenntnis lädt förmlich dazu ein,<br />

auch einmal die biographischen Hintergründe der Reform zu durchleuchten, den Sieg<br />

von Ehrgeiz und Opportunismus über die Prinzipientreue der ausgeschiedenen<br />

„Mitstreiter“ (B. Weisgerber, Mentrup).<br />

Tricks und Finten<br />

1. Wie viele Regeln sind es?<br />

In einem undatierten internen Papier der Dudenredaktion heißt es:<br />

„Neuregelung: Das amtliche Regelwerk ist in 112 Hauptregeln gegliedert.<br />

Umsetzung: Die Dudenrichtlinien werden auch künftig Hinweise enthalten, die<br />

über den rein orthographischen Bereich hinausgehen. Durch Neustrukturierung<br />

und vor allem durch Zusammenfassung einzelner Regeln und Regelbereiche wird<br />

die Zahl der Richtlinien von 212 auf 136 gesenkt.<br />

Begründung: Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212<br />

mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“<br />

Die Dudenredaktion bekannte sich also zur Mitwirkung an einem Täuschungsmanöver.<br />

(Erst mit der zweiten Auflage im Jahre 2000 wird die Camouflage aufgegeben; s. u.)<br />

Auch der Vorsitzende der KMK, Rolf Wernstedt, behauptete noch im Herbst 1997, die<br />

212 Dudenregeln seien auf 112 reduziert worden. 50<br />

Zunächst ist schon die Zahl 212 falsch. Von den 212 Regeln des Duden beziehen sich<br />

26 gar nicht auf orthographische Fragen, 6 sind Doppelanführungen (wegen der<br />

alphabetischen Anordnung), und weitere 9 werden ausdrücklich als bloße Zusammenfassung<br />

der Kommaregeln dargestellt. Es gibt also nur 171 numerierte<br />

49 Hiltraud Strunk [Hg.]: Documenta orthographica. Die Stuttgarter und Wiesbadener<br />

Empfehlungen Bd. 1, Hildesheim 1998, S. XVIIf.<br />

50 Offenburger Tageblatt vom 16.10.1997.<br />

29

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