29.12.2012 Aufrufe

REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Was manche Schriftsteller alles nicht wissen“ vom 17.10.1997, vgl. die<br />

psychologisierenden Passagen im „Bericht“ der Kommission vom Dezember 1997).<br />

Die namhaftesten deutschen Schriftsteller, Germanisten und Verleger mußten sich nach<br />

ihrer „Frankfurter Erklärung“ als Stammtisch-Schwätzer und Schlafmützen darstellen<br />

lassen, die gerade von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückgekehrt und daher<br />

über die beste Rechtschreibreform aller Zeiten 44 nicht im Bilde zu sein schienen.<br />

Um die Gegner der Reform lächerlich zu machen, konzentrieren sich die Reformer<br />

gern auf gelegentliche Fehler und Versehen, die dem einen oder anderen Kritiker<br />

(ebenso wie den Verteidigern) der Reform unterlaufen. Viele Journalisten benutzen<br />

Beispiele, die zwar vor einiger Zeit geplant waren (Asfalt, Rytmus, Restorant),<br />

inzwischen aber aus den Reformvorlagen wieder entfernt wurden. Immerhin sind es<br />

meistens Änderungsvorschläge, die nicht von den Kritikern frei erfunden, sondern von<br />

den Reformern selbst in vollem Ernst vorgelegt und nur aufgrund höherer Gewalt,<br />

nämlich vor allem des Einspruchs der Politik, aufgegeben worden waren. Die<br />

Berufung auf solche Beispiele kann also nicht von vornherein als lächerliche Verirrung<br />

angesehen werden. 45<br />

Als einem sonst wohlinformierten Journalisten einige wenige falsche Beispiele<br />

unterlaufen waren, stürzte sich die Mannheimer Rechtschreibkommission sofort darauf<br />

und gab noch am selben Tag (7.6.97) in einer Presseerklärung bekannt:<br />

„Die Kommission weist (...) alle Verunglimpfungen entschieden zurück und<br />

wendet sich nachdrücklich gegen verzerrende Darstellung der Regeln und falsche<br />

Beispiele, die lediglich der Polemik dienen. So sind zum Beispiel von den<br />

Kritikern angeführte Trennungen, wie Misss-tand (richtig: Miss-stand) oder<br />

kus-secht (richtig: kuss-echt) unsinnig und falsch.“<br />

Aus dem winzigen Lapsus eines einzelnen werden „von den Kritikern angeführte<br />

Trennungen“. Diese kleinliche, für ein staatlich finanziertes Forschungsinstitut geradezu<br />

unwürdige Vorgehensweise 46 erweckt den Eindruck, als seien die Versehen<br />

typisch und als gebe es nicht seit langem zahllose ernstzunehmende Einwände gegen<br />

die Reform.<br />

Die Reformer ergehen sich seit Jahren in Selbstlob und bezeichnen jede Kritik als<br />

44 Zu dieser Selbsteinschätzung der Reformer s. mein „Schildbürger“-Buch, S. 157. – Daß<br />

das deutsche Feuilleton solche Ausfälligkeiten von Kultusministern schweigend hinnahm<br />

oder gar mit Beifall bedachte, ist unbegreiflich.<br />

45 Der damalige Vorsitzende des Bundeselternrates, Peter Hennes, versandte noch im<br />

Oktober 1997 (übrigens auf Kosten des rheinland-pfälzischen Innenministeriums, dem er<br />

als Beamter dient und dessen „Infrastruktur“ er, wie er mir schrieb, für seine Verbandsarbeit<br />

mitbenutzt) Propagandamaterial, in dem längst zurückgenommene Neuschreibungen<br />

von 1995 (Reuma usw.) vorgestellt werden. Dieter E. Zimmer bezeichnet in der<br />

„Zeit“ vom 14.11.1997 Katastrofe als „Phantasieschreibung“; es steht aber in der<br />

Neuregelung von 1995!<br />

46 Auch die Kultusminister und ihre Ministerialbeamten lassen kaum eine Gelegenheit aus,<br />

orthographische Fehler in Briefen reformkritischer Bürger zu bespötteln (vgl. etwa<br />

„Bayernkurier“ vom 20.9.1997) – obwohl gewöhnliche Bürger doch, wie stets beteuert<br />

wird, nicht verpflichtet sind, der staatlich verordneten Norm zu folgen, und obwohl es<br />

keineswegs widersprüchlich ist, von offiziellen und professionellen Texten einen<br />

orthographischen Standard zu erwarten, der über die eigenen, möglicherweise<br />

bescheideneren Fähigkeiten hinausgeht.<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!