REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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positum und seiner Paraphrase bestünde. Die Paraphrasen sind stets willkürlich und<br />
bleiben ebenso linkisch wie bisher. Erfreulicherweise wird der Fachausdruck<br />
schwerbehindert ebenso wie Hunderte von ähnlichen Zusammensetzungen<br />
wiederhergestellt, jedenfall ist die neue Regel § 36 E1 (2) in diesem Sinne<br />
interpretierbar. Da die Wörterbücher davon noch nichts wissen, enthalten sie allesamt<br />
hier empfindliche Lücken, die auch nicht durch den Hinweis verharmlost werden<br />
können, daß jemand, der bei der neuen Getrenntschreibung bleibt, auf jeden Fall auch<br />
richtig schreibe. 119<br />
Wenn man § 36 (4) in der Neufassung des Berichts liest, könnte man meinen,<br />
Steigerbarkeit eines Gesamtgefüges wie wohltuender, schwerwiegender, gewinnbringender<br />
sei Kriterium der Zusammengesetztheit und damit Zusammenschreibung,<br />
aber der Positiv werde im Sinne der Neuregelung getrennt geschrieben. Dies war<br />
bekanntlich eine der absurdesten Bestimmungen überhaupt. Die Folgerung, daß dem<br />
zusammengesetzten Komparativ und Superlativ auch ein zusammengesetzter Positiv<br />
gegenüberstehen muß, wird auch jetzt nicht ausdrücklich gezogen, ja der neue<br />
Unterparagraph verleugnet einen solchen Zusammenhang geradezu. Aber aus einer<br />
anderen neuen Bestimmung (§ 36 E1 [2]) geht hervor, daß nach dem neuen<br />
Betonungskriterium Zusammensetzungen wie gutbezahlt, weitreichend usw. ohnehin<br />
wieder zulässig sein sollen. Damit steht auch schwerwiegend usw. nichts mehr im<br />
Wege. Dutzende von guten Wörtern werden wiederhergestellt – als zumindest auch<br />
richtig. Das dürfte auch für heißgeliebt gelten, obwohl der Reformer Schaeder kurz<br />
zuvor erklärt hatte, warum es nicht zusammengeschrieben werden dürfe (s. o.).<br />
Überrascht nimmt man zur Kennntnis, daß ein Prunkstück der Reform, die als<br />
besonders „konsequent“ gerühmte obligatorische Getrenntschreibung bei Aufsehen<br />
erregend, Eisen verarbeitend, Fleisch fressend usw., zurückgenommen wird. Daß in<br />
einer „entsprechenden Wortgruppe“ das Substantiv hier keinen Artikel hat, gilt nun<br />
(mit Recht!) nicht mehr als hinreichender Grund für Getrenntschreibung. Dadurch<br />
werden zahllose inzwischen aus den Wörterbüchern getilgte Zusammensetzungen<br />
wieder möglich: energiesparend, ratsuchend, notleidend usw. Der Hinweis, in diesen<br />
Fällen sei sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung möglich, soll offenbar die<br />
Wörterbuchmisere entschärfen, geht aber an den weiteren Einwänden vorbei, die<br />
(außer der gesamthaften Steigerbarkeit in einigen Fällen) gegen die obligatorische<br />
Auflösung der Komposita vorgetragen worden sind. Vor allem wird verkannt, daß der<br />
prädikative Gebrauch der getrennten Wortgefüge ungrammatisch ist: *der Kredit<br />
wurde Not leidend, *diese Waschmaschine ist Wasser sparend usw.<br />
Dasselbe gilt für die folgende Gruppe (2), deren Definition allerdings kaum verständlich<br />
ist. „Bedeutungsverändernde“ Adjektive und Adverbien sind möglicherweise<br />
ein Rest der „bedeutungsverstärkenden und bedeutungsmindernden“ Adjektive aus der<br />
Neuregelung und ebenso ungreifbar wie dort; jedenfalls kann diese Funktion und die<br />
im folgenden erwähnte, daß diese Adjektive und Adverbien „auch in getrennter<br />
Stellung das nachfolgende Wort modifizieren können“, kein unterscheidendes<br />
Merkmal sein, denn das Modifizieren ist schließlich die Wirkung der meisten Wörter<br />
und der Grund, warum wir sie überhaupt verwenden. Lassen wir diese Unklarheiten<br />
auf sich beruhen, so stoßen wir in der Liste der Beispiele zunächst auf denselben<br />
119 In der Neuauflage des Duden (2000) ist schwerbehindert ohne Wenn und Aber und<br />
Rotdruck wiederhergestellt.<br />
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