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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Nach mancherlei Hin und Her werden nun auch das Hohelied und der Hohepriester so<br />

geschrieben, wie die amtliche Neuregelung es fordert: das Hohe Lied, der Hohe<br />

Priester, mit der unangenehmen Folge, daß die traditionellen Formen mit unflektiertem<br />

Vorderglied (des Hohe Priesters?) überhaupt nicht mehr gebildet werden können!<br />

Die neuen Möglichkeiten der Silbentrennung werden bis zum Absurden ausgeschöpft:<br />

Schinda-cker, Buche-cker, O-cker, Obst-ruktion usw. In einem roten Kasten lehrt Götze<br />

ausdrücklich: „Die Abtrennung eines Einzelvokals ist korrekt, da nach Sprechsilben<br />

getrennt wird: Berga-horn, Berga-kademie.“ Aber niemand trennt so, am<br />

allerwenigsten die Reformer selbst. „Korrekt“ sind die sinnwidrigen Trennungen nur<br />

insofern, als die Kultusminister sie nicht als Fehler angestrichen wissen wollen, was<br />

freilich durch einfache Anweisung an die Lehrer hätte erreicht werden können. In<br />

einem höheren Sinne sind sie dennoch falsch, und ein verantwortungsvoller<br />

Deutschlehrer wird seine Schüler darauf hinweisen, daß man nicht Bi-omüll trennen<br />

sollte, denn was ist Omüll? Die Unterstellung, ein Wort wie Biomüll sei nicht als<br />

Zusammensetzung durchschaubar, ist eine Beleidigung selbst für den simpelsten<br />

Zeitgenossen. Eine Zeitlang gefiel sich die „Bertelsmann-Fraktion“ unter den<br />

Reformern darin, dem Konkurrenten die Unvollständigkeit der angegebenen<br />

Trennstellen vorzurechnen. Sogar der hessische Kultusminister Holzapfel (SPD)<br />

kritisierte den Duden und lobte (freilich mit falschen Beispielen) das Werk seines<br />

Parteifreundes Götze wegen der vollständiger angegebenen Trennstellen. Der<br />

Bertelsmannautor und Geleitwortschreiber Klaus Heller, zugleich Geschäftsführer der<br />

Rechtschreibkommission, hielt dem Duden vor, die Trennung Hämog-lobin<br />

unterschlagen zu haben. Zufällig stand sie im Bertelsmann. Aus der Neuauflage ist sie<br />

verschwunden, niemand wird ihr nachtrauern.<br />

Das Versprechen, auch die bisherige Rechtschreibung anzugeben, ist nur teilweise<br />

gehalten. Jemandem feind, todfeind, freund sein fehlen zugunsten der sprachwidrigen<br />

Neuschreibung Feind sein und so weiter. Dem neuen und grammatisch falschen Pleite<br />

gehen, Bankrott gehen wäre die herkömmliche Kleinschreibung des Adjektivs<br />

entgegenzustellen. Pan-dschab ist entgegen Götzes Vermutung nicht die herkömmliche<br />

Trennung. Da der Name auf die „fünf Ströme“ Bezug nimmt, wurde bisher Pandschab<br />

getrennt (pandsch- 'fünf' wie in Punsch, trotz Schiller, der im „Punschlied“ nur<br />

„vier Elemente, innig gesellt“ für die Rezeptur des belebenden Getränks hält). Aber<br />

wie schon in der ersten Ausgabe hält der Herausgeber es nicht für nötig, sich über die<br />

herkömmliche Rechtschreibung genauer zu informieren. Es stimmt ja gar nicht, daß<br />

Kaffeeersatz bisher ohne Bindestrich geschrieben wurde und erst durch die Reform mit<br />

einem solchen versehen werden darf (das Wörterverzeichnis weiß es übrigens besser<br />

als Götzes Erläuterungen zum Regelwerk). Scharm, scharmant sind keineswegs<br />

Neuschreibungen, sondern uralte Eindeutschungsversuche, die sich allerdings nicht<br />

durchgesetzt haben. Die Vereindeutigung von Druckerzeugnis (Druck-erzeugnis,<br />

Drucker-zeugnis) durch Bindestriche gehört ebenfalls zum Fundus der bisherigen<br />

Rechtschreibung und ist keine Neuerung, wie Götze behauptet.<br />

Der Bearbeiter rühmt die „Konsequenz“, mit der die Reform französische Wörter wie<br />

Exposé zu Exposee eindeutsche. Aber Abbé, Attaché und viele andere Wörter bleiben<br />

ausgespart, so daß es mit der Konsequenz nicht weit her ist.<br />

In den roten Kästen sind auch krasse Fehler der ersten Ausgabe stehengeblieben. So<br />

heißt es zu selbständig/selbstständig: „Die bisherige Regelung – Tilgung des zweiten<br />

-st- – wird aufgehoben.“ Hier ist nie etwas getilgt worden, sondern selbstständig ist<br />

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