REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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unverkürzt in die Wörterbücher aufgenommen werden soll, kann der Schreiber, der<br />
nicht jede Verunzierung seiner Texte zulassen will, mit den Trennprogrammen um so<br />
weniger arbeiten, je getreuer sie die Neuregelung umsetzen.<br />
Überraschenderweise soll die Trennregel für das „stumme“ (d. h. silbentrennende) h<br />
auch auf das stumme w ausgedehnt werden, so daß nicht mehr wie bisher Teltow-er<br />
(Rübchen) getrennt wird, sondern Telto-wer. 120 Ebenso überraschend ist das Argument,<br />
für eine solche Trennung spreche auch, daß manche Menschen h und w<br />
„(hyperkorrekt) tatsächlich sprechen“. Im Vorwort zur Neuregelung (2.1) heißt es ja<br />
ebenso wie nun im Bericht, daß das Regelwerk sich an der Standardaussprache<br />
orientiere. Hyperkorrekte, also falsche Aussprache nach der Schrift, wie man sie bei<br />
Unwissenden findet, ist folglich ohne jede Bedeutung. „Analog“ sei auch bei<br />
Fremdwörtern zu verfahren: Po-wer, To-wer usw. – lauter neuartige Trennungen, die<br />
besonders widersinnig erscheinen, denn hier geht es ja gar nicht um „stumme<br />
Konsonantenbuchstaben“ (ebd.) im gleichen Sinne wie beim silbentrennenden h,<br />
sondern um Bestandteile der Schreibung des Diphthongs. Die bisherige Trennung<br />
Pow-er, Tow-er usw. war also durchaus sinnvoll. Man trennt eben engl. Show-er<br />
ebenso wie dt. Schau-er. Gleichwohl erfährt man: „Der Duden hat zugesagt, diese<br />
Trennung auch beim ,stummen‘ w zu übernehmen.“ Nur der Duden? Bertelsmann hat<br />
Po-wer, aber Tow-er und folglich ebenfalls etwas nachzuholen im Sinne der<br />
Verschlimmbesserung. Die „Entscheidung der Kommission“ lautet: „Die Fallgruppe<br />
muss im amtlichen Regelwerk nicht explizit geregelt werden. Die Kommission<br />
empfiehlt die Aufnahme des Beispiels Telto-wer in § 108.“ Aber selbst damit ist die<br />
neuartige Trennung von Power usw. noch nicht gesichert; denn die meisten Benutzer<br />
dürften die angeführte „Analogie“ nicht nachvollziehen können. Es läuft also auf eine<br />
Reihe neuer Einzeleinträge nach Absprache mit den Wörterbüchern hinaus – kein<br />
sehr durchsichtiges Verfahren. 121<br />
Nicht von ungefähr zeigen die Verfasser bei der Erörterung der Fremdworttrennung<br />
eine auffallende Unschlüssigkeit, die sich in rhetorischen Fragen äußert. Deshalb sei<br />
mit einer Gegenfrage geantwortet: Glauben die Verfasser im Ernst, daß jemand, der so<br />
gelehrte Wörter wie inkrementell verwendet, das Element in- nicht zu erkennen vermag<br />
und daher versucht sein könnte, ink-rementell zu trennen? Der Widersinn besteht darin,<br />
daß der Schreibende sich bei behände, Stängel, Wechte und Ständelwurz (!) als<br />
ausgekochter Etymologe bewähren soll, während er vor exaltiert, Hämoglobin und<br />
Demokratie als reiner Tor steht und daher mit Trennungen wie e-xaltiert, Hämog-lobin<br />
und Demok-ratie beschenkt werden muß. Mehr denn je wird die neue Silbentrennung<br />
den Bildungsgrad des Schreibenden erkennen lassen – was doch gerade vermieden<br />
werden sollte. Bedenken dieser Art tun die Verfasser mit der flapsigen Bemerkung ab,<br />
morphologisch falsche Trennungen nach dem Lautprinzip seien „kein Unglück“. Das<br />
zeigt noch einmal den Unernst des ganzen Unternehmens.<br />
Bemerkenswert ist immerhin, daß die Kommission mit den Wörterbuchverlagen<br />
aushandelt, die „Variantenführung in den verschiedenen Wörterbüchern gleich oder<br />
zumindest ähnlich“ zu handhaben. „Die Vertreter der Wörterbuchredaktionen haben<br />
120 Dieser Vorschlag geht sicher auf Gallmann zurück, der schon 1985 Telto-wer Rübchen<br />
trennen wollte, wobei vielleicht seine schweizerdeutsche Unvertrautheit mit diesem<br />
Gemüse eine Rolle spielte.<br />
121 Wie sehr diese Befürchtung sich bestätigte, wird unten an der zweiten Auflage des Duden<br />
gezeigt.<br />
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