REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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eine jüngere Bildung vom neuen Stamm selbst- anstelle des älteren selb-, und das<br />
Ganze hat mit Rechtschreibung überhaupt nichts zu tun.<br />
Wahrig: Deutsches Wörterbuch. 7., vollständig neu bearb. u. aktualisierte Auflage<br />
auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Gütersloh/München 2000<br />
Mit besonderem Interesse nimmt man ein Wörterbuch zur Hand, das sich nicht nur auf<br />
die amtliche Neuregelung der deutschen Orthographie beruft, sondern – laut Vorwort<br />
und Benutzungshinweisen – auch auf anderweitig nicht zugängliche „Absprachen“ und<br />
„Empfehlungen“ der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung.<br />
Wie sich schon nach dem Erscheinen der zweiten Auflage des Bertelsmann-<br />
Rechtschreibwörterbuchs (April 1999) absehen ließ, betrifft eine der wichtigsten<br />
vorgesehenen Korrekturen die neue Getrennt- und Zusammenschreibung: Während die<br />
Neuregelung vorschreibt, die Zusammensetzungen vom Typ aufsehenerregend in<br />
Wortgruppen (Aufsehen erregend) aufzulösen, führen die neuesten Wörterbücher auch<br />
die zusammengesetzten Adjektive wieder ein und <strong>schreiben</strong> sie im Falle von<br />
Steigerung und Erweiterung (noch aufsehenerregender, höchst aufsehenerregend)<br />
sogar zwingend vor. Genau dieses grammatische Argument hatten die Reformgegner<br />
immer gegen die Neuregelung ins Feld geführt; nun steht es unter jedem einschlägigen<br />
Stichwort. (Die Angabe aus den Benutzungshinweisen, Aufsehen erregend und<br />
aufsehenerregend seien „gleichwertige Varianten“, trifft also keineswegs zu.) Die<br />
Einträge sind zwar immer noch mangelhaft, weil es widersinnig ist, zu den erweiterten<br />
oder gesteigerten Formen keinen entsprechenden nichterweiterten Positiv zuzulassen,<br />
aber im übrigen ist nunmehr genau der alte Zustand wiederhergestellt, so daß der<br />
Rotdruck (für „Neuschreibung“) nicht mehr gerechtfertigt ist.<br />
Unverständlich ist allerdings, daß nicht nur die Zusammensetzungen, sondern auch die<br />
Wortgruppen Aufsehen erregend, Glück bringend usw. als „Adjektive“ bezeichnet<br />
werden; erstens gehören Wortgruppen keiner Wortart an, und zweitens handelt es sich<br />
ja bei den Partizipien, wie schon die Akkusativrektion zeigt, um Verbformen. Ein<br />
ähnliches Zurückbleiben der Wortartzuweisung hinter den orthographischen<br />
Gewaltakten beobachtet man auch sonst: in heute Abend usw. soll Abend neuerdings<br />
groß geschrieben werden, weil es nach Ansicht der Reformer ein Substantiv ist; laut<br />
Wahrig bleibt es jedoch „Adverb“. „Adverb“ bleiben auch Leid (in Leid tun), Not (Not<br />
tun), und um „Adjektive“ handelt es sich bei jemandem Feind sein, Bankrott/Pleite<br />
gehen selbst nach Einführung der allerdings grammatisch falschen Großschreibung<br />
durch die irregeleiteten Reformer. Man findet also Leid tun nur unter dem Stichwort<br />
leid, nicht (zumindest auch) unter Leid. All dies muß den unbefangenen Benutzer vor<br />
den Kopf stoßen, zumal auch das beigefügte „Lexikon der deutschen Sprachlehre“<br />
keine Erklärung der sonderbaren Widersprüche liefert.<br />
A propos Feind: den vielbelachten Spinnefeind erspart uns das Wörterbuch, es bleibt,<br />
wie der führende Reformer Gerhard Augst bereits früher „angeboten“ hatte, bei<br />
spinnefeind; das Adjektiv todfeind fehlt allerdings ganz – bei einem Wörterbuch dieses<br />
Umfangs immerhin merkwürdig.<br />
Bei Not leidend hätte ich mir Auskunft gewünscht, ob man tatsächlich <strong>schreiben</strong> soll:<br />
Die Kredite wurden Not leidend. Grammatisch ist das falsch, und dies war der dritte,<br />
von der Kommission bisher nicht verstandene Grund, den die Kritiker gegen die<br />
obligatorische Auflösung der Komposita geltend gemacht hatten. Ganz ist der<br />
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