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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Fälle würden selbstverständlich im Falle der Steigerung zusammengeschrieben. (Allerdings<br />

fehlt dann der Positiv, es ergibt sich die befremdliche Reihe Besorgnis erregend,<br />

sehr besorgniserregend, noch besorgniserregender ...; s. u. zu 1.1.2. Später wird in<br />

widersprüchlicher Weise behauptet, aus dem Regelwerk ließen sich zwei Formen des<br />

Positivs ableiten: Gewinn bringend und gewinnbringend, schwer wiegend und<br />

schwerwiegend; nach dem Kriterium des selbständigen Vorkommens ist das jedoch<br />

ausgeschlossen.) Daß die Reformurheber das gedacht haben, läßt sich nicht widerlegen,<br />

gesagt haben sie es jedenfalls nicht. Das geben sie auch zu:<br />

„Die genannten Möglichkeiten werden im Regelteil nirgends explizit vorgeführt.<br />

Es lässt sich höchstens aus ein paar Einträgen im Wörterverzeichnis<br />

rekonstruieren, dass beide logisch denkbaren Schreibungen tatsächlich zugelassen<br />

sind. Dies widerspricht aber der Grundintention der Neuregelung, außerhalb<br />

bestimmter Teile der Wortschreibung keine Regelung über das Wörterverzeichnis<br />

vorzunehmen.“<br />

Was das Wörterverzeichnis betrifft, so versuchen die Reformer an mehreren Stellen, es<br />

aus der Schußlinie der Kritik zu nehmen, indem sie ihm nur eine untergeordnete<br />

Bedeutung zuweisen:<br />

„Bei der derzeit geltenden Regelung kann sich der Schreibende darauf verlassen,<br />

dass in Zweifelsfällen die amtlichen Regeln und nicht das Wörterverzeichnis (...)<br />

den Ausschlag geben. Abgesehen von den Laut-Buchstaben-Beziehungen hat das<br />

Wörterverzeichnis nur exemplarischen, also nicht normsetzenden Charakter.“ (S.<br />

83)<br />

Das steht nun in krassem Gegensatz zum amtlichen Regelwerk selbst und zu den<br />

früheren Verlautbarungen. Im Vorwort zur amtlichen Neuregelung heißt es:<br />

„Auf der Basis dieser grundlegenden Beziehungen wird durch den Regelteil und<br />

das Wörterverzeichnis die geltende Norm der deutschen Schreibung festgelegt.<br />

Dabei ergänzen sie einander.“<br />

Auch in den einschlägigen Beiträgen zum Sammelband „Zur Neuregelung der<br />

deutschen Orthographie“ (Augst et al. [Hg.]., 1997; darin besonders Augst/Schaeder<br />

und Heller/Scharnhorst) ist keine Rede von einer untergeordneten Funktion des<br />

Wörterverzeichnisses. Regeln und Wörterverzeichnis werden vielmehr als „komplementär“<br />

bezeichnet.<br />

Der Bericht berücksichtigt erstmals das Argument des prädikativen Gebrauchs. Bisher<br />

kam es weder im amtlichen Regelwerk noch in den Rechtfertigungsversuchen der<br />

Reformer vor. Die Reformer sehen jetzt ein, daß diese Investition ist Gewinn bringend<br />

„kaum akzeptierbar“ ist. Folglich trete hier „Univerbierung“ zum „komplexen<br />

Adjektiv“ ein. (Auch der Begriff der „Univerbierung“ ist neu, er stammt aus der<br />

Argumentation der Reformkritiker.) Deshalb wird die Wiederzulassung von<br />

gewinnbringend auch in der Grundform und nicht erst bei tatsächlicher Steigerung<br />

erwogen. Dies wird zweifellos kommen und mehrere Dutzend ganz geläufiger Wörter<br />

erfassen, die zum Teil in den neuesten Wörterbüchern schon wieder in herkömmlicher<br />

Weise geschrieben sind.<br />

Wenn es aber (wie der Text stellenweise nahelegt) seit je so gemeint war – was<br />

bedeuten dann die Sternchen im amtlichen Wörterverzeichnis? (großen) Gewinn<br />

bringend, sehr gewinnbringend, noch gewinnbringender usw. – das ist doch genau die<br />

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