REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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amtlichen nun noch diese neue nichtamtliche propagiert wird, dazu kommt die vom<br />
Duden-„Praxiswörterbuch“ vorgelegte, eigenmächtig revidierte Fassung, mit der einige<br />
Ministerien und Behörden liebäugeln. Wiederum einen anderen Leitfaden mit<br />
bewußten Abweichungen von der amtlichen Regelung haben die Nachrichtenagenturen<br />
im Dezember 1998 beschlossen, und nochmals durchgreifend anders ist der<br />
Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom März<br />
1999. Die in der Wiener Absichtserklärung vom 1. Juli 1996 ins Auge gefaßte<br />
„Einheit“ der deutschen Orthographie, die es vor der Reform gab, dürfte damit auf<br />
längere Zeit zerstört sein, wofern man nicht allen Reformplänen entsagt und bei der<br />
nun wirklich bewährten, unzweifelhaft konsensfähigen bisherigen Schreibung bleibt.<br />
Bertelsmann: Die deutsche Rechtschreibung. Verfasst von Ursula Hermann, völlig<br />
neu bearbeitet und erweitert von Prof. Dr. Lutz Götze mit einem Geleitwort von Dr.<br />
Klaus Heller. Gütersloh 1999<br />
Dieses Buch hat eine Vorgeschichte. Am 1. Juli 1996 wurde in Wien die Absichtserklärung<br />
zur Rechtschreibreform unterzeichnet, und schon einen Tag später lag „Die<br />
neue deutsche Rechtschreibung“ vom Bertelsmann Lexikon Verlag in den Buchläden.<br />
Sie erwies sich als äußerst fehlerhaft; man konnte zu ihren Gunsten allenfalls anführen,<br />
daß sie in Hunderten von Fällen aus Nachlässigkeit die „alten“, objektiv besseren<br />
Schreibweisen unverändert gelassen hatte. Im Laufe der nächsten Jahre erschienen<br />
neun mehr oder weniger veränderte, zunächst nicht einmal als solche erkennbare<br />
Bearbeitungen, die sich immer mehr an den zwar verspäteten, inzwischen aber wieder<br />
zum Marktführer aufgerückten Duden anglichen. Dies konnte jedoch das Geschäft<br />
nicht merklich beleben, und so wurden im Januar 1999, unmittelbar vor dem<br />
Erscheinen der zweiten Auflage, noch schnell zehntausend Exemplare an die Schüler<br />
Schleswig-Holsteins verschenkt. Die Reformkritiker sahen darin den Versuch, das<br />
Ergebnis des Volksentscheids in diesem Bundesland zu unterlaufen und sich zugleich<br />
der Lagerbestände des schwerverkäuflichen Buchs zu entledigen.<br />
Man kann den Gang der Ereignisse am Schicksal des Wortes wiedersehen verfolgen. In<br />
der ersten Ausgabe war es zusammengeschrieben. Im Zuge der fortschreitenden<br />
Angleichung an den Duden wurde auch dessen Fehldeutung des allerdings höchst<br />
unklaren Paragraphen 34 übernommen und wieder sehen getrennt geschrieben.<br />
Inzwischen ist der Irrtum aufgeklärt, und die hier anzuzeigende Neuauflage schreibt es<br />
wieder zusammen.<br />
Wie im Duden sind nun erstmals auch Personennamen und Vornamen aufgenommen,<br />
eine richtige Entscheidung, die vielen Benutzern entgegenkommt.<br />
Der Gehorsam gegenüber den deutschen Kultusministern geht so weit, daß sogar<br />
offenkundige Versehen der Reformer sklavisch reproduziert werden. Anders als im<br />
Duden heißt es also hintenüberkippen, aber vornüber kippen – nur weil die Reformer<br />
zugestandenermaßen vergessen hatten, auch vornüber in ihre Liste zusammenzu<strong>schreiben</strong>der<br />
Partikeln aufzunehmen!<br />
Als besonders anstößige Einzelheit der Reform wird die Auflösung von sogenannt in<br />
so genannt empfunden. Götze drückt sich ein wenig um die Offenlegung dieser<br />
Absurdität, indem er für so genannt ausdrücklich zwei Akzentstellen angibt und als<br />
Beispiel nur das unverfängliche Sie wurde seit langem so genannt. Aber um diesen<br />
ebenso wie bisher geschriebenen Ausdruck geht es nicht, sondern um den Verbleib des<br />
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